Neunter Artikel. Die Furcht Gottes ist eine Gabe des heiligen Geistes.
a) Dies wird geleugnet. Denn: I. Keine Gabe des heiligen Geistes kann zu einer Tugend im Gegensatze stehen; der heilige Geist wäre ja dann zu Sich selber im Gegensatze. Die Furcht aber steht im direkten Gegensatze zur Hoffnung. Also ist die Furcht keine Gabe des heiligen Geistes. II. Die heilige Furcht hat Gott zum Gegenstande. Also ist sie eine theologische Tugend. III. Die Furcht folgt aus der Liebe, einer theologischen Tugend. Also ist sie ebenfalls eine theologische Tugend. IV. „Die Furcht wird verliehen gegen den Hochmut,“ sagt Gregor. (2. moral. 26.) Dem Hochmut aber steht entgegen die Demut. Also gehört die Furcht zur Tugend der Demut. V. Die Gaben des heiligen Geistes sind vollendeter wie die Tugenden denn „sie werden den Tugenden zum Beistande gegeben,“ nach Gregor (l. c.) Die Hoffnung aber ist vollendeter wie die Furcht; denn sie hat zum Gegenstande das Gute und die Furcht das Übel. Also ist die Furcht keine Gabe des heiligen Geistes. Auf der anderen Seite zählt Isaias 11. sie unter den Gaben des heiligen Geistes auf.
b) Ich antworte, die Menschenfurcht sei keine Gabe des heiligen Geistes. Denn „sie war die Ursache, daß Petrus den Herrn verleugnete.“ (Aug. de gratia et lib. arbitr. 13.) Jene Furcht nun aber ist eine Gabe Gottes, von der es Matth. 10. heißt: „Jenen fürchtet, der da Seele und Leib in die Hölle stürzen kann.“ Die knechtische Furcht ist wohl vom heiligen Geiste; aber sie ist keine Gabe des heiligen Geistes. (Aug. de nat. et gratia 57.) Denn sie kann verbunden sein mit dem Willen zu sündigen; was bei den Gaben des heiligen Geistes nicht der Fall ist, da sie niemals ohne die heilige Liebe im Menschen sich finden. Die Furcht als Gabe des heiligen Geistes also ist die keusche Furcht oder die kindliche. Denn (I., II. Kap. 68, Art. 1 und 3) die Gaben des heiligen Geistes sind gewisse zuständliche Vollendungen der Seelenvermögen, kraft deren diese sich durchaus geeignet finden, leicht vom heiligen Geiste in Thätigkeit gesetzt zu werden; wie etwa durch die moralischen Tugenden die begehrenden Vermögen geeignet werden, leicht in Thätigkeit zu kommen durch die Anleitung von der Vernunft aus. Dazu aber, daß etwas in den Zustand gelange, leicht in Thätigkeit gesetzt werden zu können von einer bewegenden Kraft aus, wird zuerst erfordert, daß das betreffende Bewegliche oder das in Bewegung zu setzende Subjekt nicht der Bewegung widerstreite, weil ein solcher Widerstreit des Beweglichen mit Rücksicht auf die bewegende Kraft für die Bewegung ein Hindernis ist. Dies nun, die Hebung des Widerstreites im thätigen Subjekt, besorgt die kindliche Furcht, kraft deren wir vor Gott Ehrfurcht haben und davor zurückschrecken, uns selbst zu verführen. Deshalb hält die Furcht Gottes gewissermaßen die erste Stelle inne unter den Gaben des heiligen Geistes im Aufsteigen, die letzte im Hinabsteigen; nach Augustin. (serm. Dom. in monte 4.)
c) I. Die Hoffnung und die Furcht hängen innig miteinander zusammen und vollenden sich gegenseitig. Denn durch die Furcht fürchten wir nicht, daß uns das mangle, was wir kraft des göttlichen Beistandes zu erlangen hoffen; sondern wir fürchten, uns dem göttlichen Beistände zu entziehen. II. Der hauptsächliche und eigentliche Gegenstand der Furcht ist das Übel, was jemand flieht. Und so ist Gott nicht Gegenstand der Furcht. In dieser Weise, als erstrebenswertes Gut nämlich, ist Er unmittelbar der Gegenstand der theologischen Tugenden. Denn kraft der Tugend der Hoffnung stützen wir uns nicht allein deshalb auf den göttlichen Beistand, damit wir etwelche andere Güter erlangen, sondern an erster Stelle, damit wir Gott besitzen. III. Die Liebe ist wohl das Princip der Furcht. Aber daraus folgt nicht, die Furcht sei kein von der heiligen Liebe verschiedener Zustand. Denn die Liebe ist das Princip aller Zuneigungen der Seele; und doch wird die Seele durch verschiedene Zustände in ihren verschiedenen Neigungen vollendet. Die Liebe hat jedoch deshalb mehr den Charakter der Tugend, weil sie direkt auf das Gute sich richtet, worauf ja gemäß ihrem Wesen die Tugend überhaupt geht; und deshalb ist auch die Hoffnung eine wirkliche Tugend. Die Furcht aber richtet sich in erster Linie auf das Übel und dies erheischt Fliehen; sie ist also etwas weniger als eine theologische Tugend. IV. Die Furcht schließt das Princip des Hochmuts aus, welches ist „abfallen von Gott.“ (Ekkle. 10.) Denn sie lehrt, Gott zu fürchten und Ihm Unterthan zu sein. Deshalb ist die Furcht nicht dasselbe wie die Demut, sondern deren Princip. Die Gaben des heiligen Geistes nämlich sind Principien der Tugenden in der Vernunft und der moralischen Tugenden; die theologischen Tugenden aber sind die Principien der Gaben. (I., II. Kap. 68 und 69.) V. Damit beantwortet.
