Siebenter Artikel. Die Sünder lieben nicht sich selber.
a) Das Gegenteil wird dargelegt. Denn: I. Die Liebe zu sich selbst ist das Princip aller Sünden, da „sie die Stadt Babylon herstellt.“ (14. de civ. Dei ult.) Also findet sie sich an erster Stelle in den Sündern. II. Die Sünde entfernt nicht die Natur. Von Natur aber liebt jegliches Ding sich selbst. III. „Allen ist liebwert das Gute,“ sagt Dionysius. (4. de div. nom. Viele Sünder aber halten sich für gut. Auf der anderen Seite „haßt, wer die Bosheit liebt, seine Seele.“ (Ps. 10.)
b) Ich antworte; „sich selbst lieben“ ist in der einen Weise allen gemeinsam; in der anderen ist es nur den Guten eigen; in der dritten Weise kommt es den Bösen zu. Alle lieben nämlich sich selbst, insoweit alle, Gute und Schlechte, die Selbsterhaltung wollen; nämlich die Erhaltung ihrer aus Seele und Leib zusammengesetzten Substanz. Die Guten lieben sich gemäß dem Hauptsächlichen, was im Menschen ist; und wonach das Sein des Menschen überhaupt bisweilen benannt wird, wie man sagt, der Staat thue etwas, wenn der König es thut; — nämlich gemäß dem vernünftigen Geiste, dem „inneren Menschen“, wie Paulus spricht (2. Kor. 4.) und danach schätzen sie ihr Sein. Die Bösen schätzen ihr Sein gemäß dem niedrigeren Teile im Menschen, dem „äußeren Menschen“. Da sie also sich nicht in der richtigen Weise kennen, so lieben sie sich auch nicht in der richtigen Weise. Die Guten aber lieben sich gemäß der Wahrheit. Dies beweist Aristoteles (9 Ethic. 4.) gemäß den fünf Dingen, die der Freundschaft eigentümlich sind. Denn jeder Freund will: 1. daß sein Freund sei und lebe; 2. daß er Gutes besitze; 3. thut er ihm Gutes; 4. freut er sich am Verkehr mit ihm; 5. ist er eins mit ihm, ist nämlich traurig und freudig über das Gleiche wie der Freund. So lieben die Guten sich mit Rücksicht auf den inneren Menschen; denn sie wollen: 1. daß derselbe in seiner Unversehrtheit erhalten bleibe; 2. daß er Gutes habe; 3. wirken sie dazu mit; 4. kehren sie mit Freude zum eigenen Herzen zurück; und freuen sich 5. an dem vergangenen Guten und haben Hoffnung auf die zukünftigen Güter. So strebt ihre Seele nach Einem. Umgekehrt wollen die Schlechten nicht die Unversehrtheit ihrer Seele; begehren keine geistigen Güter; thun nichts zu deren Erlangung; fürchten sich vor ihrem eigenen Herzen; denn sie finden da die Erinnerung an vergangene Sünden, Gewissensbisse wegen ihres gegenwärtigen Zustandes und Angst für die Ewigkeit. Ebenso verderben sie in der nämlichen Weise ihren äußeren Menschen; und so lieben sie in keiner Weise sich selber.
c) I. Die Selbstliebe, welche das Princip der Sünden bildet, ist eigen den Bösen und gelangt bis zur Verachtung Gottes; denn die Sünder begehren so die äußeren Güter, daß sie verachten die geistigen. II. Die natürliche Liebe schwindet nicht in den Bösen; aber sie wird verkehrt. III. Insofern die Bösen sich für gut halten, ist in ihnen ein äußerer Schein der wahren Selbstliebe; welcher Schein aber auch schwindet in denen, die sehr schlecht sind.
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