Achter Artikel. Die Feindesliebe gehört notwendig zur heiligen Liebe.
a) Dies wird geleugnet. Denn: I. Augustin sagt (Enchir. 73.): „Dieses so große Gut, die Feinde zu lieben, gehört nicht einer so großen Menge zu eigen, wie jene ist, von der wir glauben, sie werden erhört, wenn sie beten: Vergieb uns unsere Schulden.“ Keinem aber wird die Schuld vergeben, der nicht die heilige Liebe hat; denn „alle Sünden bedeckt die heilige Liebe.“ (Prov. 10.) Also ist nicht die Feindesliebe notwendig in der heiligen Liebe eingeschlossen. II. Die heilige Liebe entfernt nicht die Natur. Jedes Wesen aber haßt von Natur das ihm Entgegengesetzte; wie z. B. das Wasser das Feuer, das Schaf den Wolf. III. „Die heilige Liebe handelt nicht schlecht.“ (1. Kor. 13.) Das ist aber schlecht, die Feinde zu lieben und die Freunde zu hassen, nach 2. Kön. 19., wo Joab dem David vorwirft: „Du liebst jene, die dich hassen, und hassest, die dich lieben.“ Auf der anderen Seite steht das Wort des Herrn: „Liebet euere Feinde.“ (Matth. 5.)
b) Ich antworte; 1. die Feinde lieben, insoweit sie Feinde sind, ist verkehrt und gegen die heilige Liebe; — das hieße nämlich lieben das, was für den anderen ein Übel ist. 2. Die Feinde lieben als teilhaft im allgemeinen der menschlichen Natur, ist notwendig zur heiligen Liebe gehörig; daß nämlich jemand von jener Allgemeinheit, den Nächsten zu lieben, niemanden ausnimmt. 3. Die Feinde lieben in der Weise daß jemand einen speciellen Liebesakt einem Feinde erweist, ist nicht schlechthin zur heiligen Liebe gehörig, die ja auch nicht vorschreibt, daß wir zu jedem einzelnen Menschen durch besondere Liebesthätigkeit hinbewegt werden; denn das wäre unmöglich. Jedoch muß der Mensch in seiner Seele die Bereitwilligkeit haben, besondere Liebe auch dem Feinde zu erweisen, falls die Notwendigkeit dies erfordert. Daß nun ohne solche Notwendigkeit der Mensch dem thatsächlichen Wirken nach das Gebot der Feindesliebe erfülle, gehört zur Vollendung der Liebe. Denn je mehr jemand Gott liebt, wird er auch im Feinde Gott lieben und sich von der Feindschaft in der thatsächlichen Äußerung dieser Liebe nicht abhalten lassen; wie wenn jemand in hohem Grade einen Freund liebte, er auch dessen Kinder lieben würde, obgleich sie seine Feinde sind. Nach dieser letzten Weise, nach der Vollkommenheit der Liebe spricht
c) I. Augustin l. c. II. Das Entgegengesetzte, insoweit es entgegengesetzt ist, wird von jedem Dinge gehaßt. Und so muß Uns dies mißfallen, daß sie unsere Feinde sind; als Feinde betrachtet, die Feindschaft also selber dürfen wir nicht lieben. (Vgl. I.) Insoweit sie aber Menschen sind und fähig der ewigen Seligkeit teilhaftig zu sein, sind sie uns nicht entgegengesetzt. III. Insoweit die Feinde uns feindlich sind, dürfen wir sie nicht lieben.
