Neunter Artikel. Die Blutschande ist eine besondere Gattung Wollust.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Blutschande wird so genannt; weil da Schande, also nichts Ehrbares, Keusches sich findet. Das kann aber von jeder Art Wollust gelten. II. In den Dekreten (36. Qq. 1 c. Lex illa) wird gesagt: „Blutschande ist der Mißbrauch der blutsverwandten oder durch die Ehe nahestehender Personen.“ Das sind aber zwei Arten von Verwandtschaft, Konsanguinität und Affinität; also giebt es mehrere Arten Blutschande und nicht bloß eine. III. Es war zu einer gewissen Zeit erlaubt, mit blutsverwandten geschlechtlich zusammenzuleben. Also ist da an sich, der „Art“ nach, keine eigene Sünde; sonst wäre das nie erlaubt gewesen. Auf der anderen Seite hängt der verschiedene Wesenscharakter der Gattungen Wollust ab von den verschiedenen Verhältnissen der gemißbrauchten Frauen. Bluts- oder durch die Ehe geschaffene Verwandtschaft aber besagt ein besonderes Verhältnis der betreffenden Frauen. Also besteht hier eine besondere Gattung Wollust.
b) Ich antworte, wo etwas Besonderes gefunden werde, was dem gebührenden Gebrauche des Geschlechtlichen widerstreitet; da sei der maßgebende Grund für eine besondere Gattung Wollust gegeben. Solches Besondere, der Vernunft Widerstreitende aber findet sich im geschlechtlichen Verkehr mit verwandten in dreifacher Weise: 1. Den Eltern gebührt von Natur besondere Verehrung und demnach auch den anderen verwandten, welche aus denselben Eltern mehr oder minder unmittelbar ihren Ursprung ableiten; so daß bei den Alten nach Valerius Maximus (lib. 2. cap. 1 n. 7.) es dem Vater nicht erlaubt war, mit dem Sohne zugleich zu baden, damit sie sich nicht gegenseitig nackt anschauten. Im geschlechtlichen Verkehre aber besteht etwas Unanständiges, was im höchsten Grade solcher Ehrfurcht und Achtung widerstreitet; weshalb sich desselben ja auch die Menschen schämen. Es ist sonach unzukömmlich, daß zwischen verwandten Personen ein geschlechtlicher Verkehr stattfinde Deshalb heißt es Lev. 19.: „Es ist deine Mutter; du sollst nicht ausdecken ihre Scham;“ und dasselbe wird dann von den anderen blutsverwandten gesagt. 2. Die blutsverwandten Personen verkehren notwendigerweise häufig miteinander. Würden sie also nicht vom geschlechtlichen Verkehr abgehalten, so würde zu viel Gelegenheit zu selbem geboten werden und sonach die Gemüter zu sehr verweichlichen. Und aus diesem Grunde wird im Alten Testamente der geschlechtliche Verkehr zumal zwischen Personen verboten, welche notwendigerweise gesellschaftlich miteinander verkehren müssen. 3. Es würde durch solchen Verkehr zu sehr die Vervielfältigung von Freunden gehindert werden. Denn nimmt jemand eine ihm fremde Person zur Gattin, so tritt er mit den blutsverwandten seiner Frau in eine ähnliche Verbindung wie mit den eigenen blutsverwandten. Deshalb sagt Augustin (15. de civ. Dei 16.): „Es ist in gerechtester Weise Rücksicht genommen worden auf die Liebe; daß nämlich die Menschen, denen die ehrbare Eintracht nützlich sein soll, in verschiedener Weise miteinander verbunden seien, damit nicht den einen mit der anderen ein vielfaches Liebesband verknüpfe, sondern in verschiedenster Weise auf viele einzelne das eine selbe Band der Liebe ausgedehnt werde.“ Aristoteles fügt noch (2 Polit. 2.) einen vierten Grund hinzu. Da nämlich schon von Natur der Mensch seine blutsverwandtin liebt, so würde die Liebesglut zu groß werden, wenn noch die geschlechtliche Liebe hinzuträte; es wäre dann ein zu großer Antrieb der Begierde vorhanden, was der Keuschheit widerstreitet. Also ist die Blutschande eine eigene Gattung Wollust.
c) I. Der geschlechtliche Mißbrauch mit verwandten würde sowohl wegen der häufigen Gelegenheit wie wegen der zu großen Begierde die Keuschheit im höchsten Grade verderben; und deshalb wird er im hervorragenden Sinne als „Schande“ bezeichnet. II. Die Verwandtschaft, welche auf der geschlossenen Ehe beruht, die Affinität, ist begründet auf der Blutsverwandtschaft und hat sie auch zum Zwecke. Das Eine besteht da wegen des Anderen und somit besteht nur eine Gattung Blutschande. III. In dem geschlechtlichen Verkehr ist etwas an sich der natürlichen Vernunft Widerstreitendes; wie der zwischen Eltern und Kindern, unter denen an sich und unmittelbar natürliche Verwandtschaft ist; denn von Natur gebührt den Eltern Ehrfurcht seitens der Kinder. So erzählt Aristoteles (9. de animal. 47.) von einem Pferde, das getäuscht worden war, damit es mit der Mutter sich vermische, es habe sich von selbst wie aus Abscheu in die Tiefe gestürzt; denn selbst manchen Tieren wohnt von Natur eine gewisse Ehrfurcht vor den Eltern inne. Mit Rücksicht auf die anderen Personen, welche nicht an sich miteinander blutsverwandt sind, sondern nur vermittelst der Eltern und in Beziehung auf dieselben, besteht die Unanständigkeit und die Schande nicht in so hohem Grade, wenn es sich um geschlechtlichen Verkehr handelt. Hier besteht eine Verschiedenheit im Anständigen und Unanständigen je nach der Gewohnheit und dem göttlichen oder menschlichen Gesetze. Denn was sich auf das allgemeine Beste bezieht, das unterliegt den näheren Bestimmungen des positiven Gesetzes; und somit auch der Gebrauch der geschlechtlichen Beziehungen. Deshalb sagt Augustin (15. de civ. Dei 16.): „Der eheliche Verkehr zwischen Brüdern und Schwestern war desto notwendiger, je älter er war; er ist um so verdammenswerter geworden, je mehr die Religion ihn verbietet.“
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