Zwölfter Artikel. Die Sünde gegen die Natur ist die größte unter den Sünden der Wollust.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Eine Sünde ist um so größer, je mehr sie der Liebe entgegen ist. Dies sind aber offenbar in höherem Grade der Ehebruch, die Ver- und Entführung. Also sind dies größere Sünden. II. Der Gottesraub geht direkt gegen Gott; also ist er eine größere Sünde wie die Sünde gegen die Natur. III. Eine Sünde ist um so größer je mehr sie gegen Personen sich richtet, die uns mehr nahe stehen oder verwandt sind. Also ist die Blutschande eine größere Sünde wie die Sünde gegen die Natur; wenn letztere an fremden Personen verübt wird. IV. Die molities oder Weichlichkeit, womit jemand sich selbst befleckt, ist am meisten gegen die Natur, welche zu allererst verlangt, daß ein anderer sei der einwirkende Teil und ein anderer der leidende. Also wäre die Selbstbefleckung unter den Sünden gegen die Natur die schwerste; was falsch ist. Somit ist überhaupt nicht die Sünde gegen die Natur die schwerste im Bereiche der Wollust. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de bono conjug. 6. et 11.): „Unter allen diesen Sünden (der Wollust) ist die schlechteste jene, die gegen die Natur sich richtet.“
b) Ich antworte, im Bereiche einer jeden Seinsart sei das Schlechteste die Verderbtheit des Princips, von welchem alles Andere abhängt. Die Principien der Vernunft aber bildet das, was gemäß der Natur ist. Denn die Vernunft bestimmt unter Voraussetzung dessen, was von der Natur bestimmt ist, in leitender Weise das Andere, je nachdem es sich gebührt. Wie also im Bereiche des rein Spekulativen jener Irrtum der schwerste und schimpflichste ist, welcher die ersten von der Vernunft selber eingeprägten Principien zum Gegenstande hat; so ist im Bereiche des Thätigseins es das Schwerste und Schimpflichste, gegen das vorzugehen, was gemäß der Natur bestimmt ist. Weil somit bei den Sünden gegen die Natur der Mensch die Grenzen überschreitet, welche die Natur selbst gezogen im Gebrauche des Geschlechtlichen, deshalb ist da die Sünde gegen die Natur die schwerste Nach ihr kommt die Blutschande, durch welche gegen die von Natur eingeprägte Achtung rücksichtlich verwandter Personen gesündigt wird. Durch die anderen Sünden verfehlt man sich nämlich bloß gegen das, was gemäß der gesunden Vernunft bestimmt ist, unter Voraussetzung freilich der natürlichen Principien. Darunter nun sind schwerer jene Sünden, die nicht nur gegen das Wohl des zu erzeugenden Kindes sich richten, sondern auch Ungerechtigkeit einschließen. Und somit ist unter diesen nach der Blutschande die schwerste Sünde der Wollust der Ehebruch, bei dem man eine Frau mißbraucht, welche nicht zur Behütung allein und zur Sorge für sie selbst, sondern zum Zwecke des Erzeugens unter der Gewalt eines anderen steht. Danach kommt die Verführung. Beide letztgenannte Sünden werden erschwert durch die Entführung, so daß die Entführung einer Jungfrau schwerer ist wie die Verführung einer solchen und die Entführung einer Ehefrau schwerer wie der Ehebruch. Alle diese Sünden aber werden des weiteren beschwert durch den Gottesraub.
c) I. Die Ordnung, welche von der Vernunft aufgestellt ist, rührt vom Menschen her; die Ordnung in der Natur von Gott selber unmittelbar. In den Sünden gegen die Natur also findet sich eine Beleidigung, die man unmittelbar Gott zufügt als dem Urheber der natürlichen Ordnung. Deshalb sagt Augustin (3. de Conf. 8.): „Schandthaten gegen die Natur müssen überall und immer bestraft werden, wie z. B. die Sünden der Sodomiten. Wenn alle Völker Solches thäten, so würden sie alle schuldig sein, Verbrechen gegen das göttliche Gesetz begangen zu haben, gemäß welchem die Menschen nicht so gemacht worden, daß sie untereinander sich selber in dieser Weise gebrauchen sollten. Denn die Verbindung, die wir mit Gott haben müssen, wird verletzt zugleich mit jener Natur, die Gott gemacht und die man mit verkehrter Begierlichkeit beschmutzt.“ II. Die Sünden gegen die Natur sind ebenfalls gegen Gott und sind um so schwerer wie Gottesraub, als die von Gott mit der Natur gegebene Ordnung früher ist und grundlegender wie jede andere später hinzugetretene. III. Einem jeden Einzelwesen steht seine eigene Gattung näher wie jedes andere, auch noch so sehr mit ihm verwandte Einzelwesen. Und somit sind die Sünden gegen die eigene Gattung die schwersten. IV. Die Schwere einer Sünde hängt in höherem Grade vom Mißbrauche eines Dinges ab wie von der Unterlassung des gebührenden Gebrauches. Danach ist die Selbstbefleckung oder Weichlichkeit die niedrigste Sünde unter den Sünden gegen die Natur; denn sie ist bloß die Unterlassung des geschlechtlichen Zusammenlebens mit einer anderen Person. Die größte unter diesen Sünden ist die der Vertierung; denn es wird da nicht die gebührende Gattung gewahrt. Deshalb sagt die Glosse zu Gen. 37. (Accusavit fratres crimine pessimo): „Sie hatten geschlechtlichen Verkehr mit Tieren.“ Danach kommt dann die sodomitische Sünde, wo das gebührende Geschlecht nicht eingehalten wird; danach die Sünde, worin das gebührende Glied nicht beachtet wird; und endlich jene, welche in der ungebührenden Art und Weise geschlechtlich zusammenzuleben sich findet.
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