Zehnter Artikel. Der Gottesraub oder das Sakrileg ist eine Gattung Wollust.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Der Gottesraub ist eine Gattung der Irreligiosität (Kap. 99, Art. 1.) Also ist er keine Gattung in der Wollust; da diese beiden „Arten“ in keinem Verhältnisse der Unterordnung zu einander stehen. II. In den Dekreten (l. c.) wird der Gottesraub nicht unter den Gattungen der Wollust aufgezählt. III. Wie vermittelst der Wollust, so kann auch vermittelst anderer Arten Sünde etwas gegen Gottgeweihtes geschehen. Der Gottesraub aber gilt nicht als eine Gattung der Gaumenlust oder anderer Sünden. Auf der anderen Seite sagt Augustin (15. de civ. Dei 16.): „Wenn es rechtlos ist, aus Geiz, damit man immer mehr besitze, die Grenzen des Besitzes zu überschreiten; um wie viel ruchloser ist es, aus Begier nach geschlechtlichem Verkehr die Grenzen der Sitte zu überschreiten!“ Die Grenze des Besitzes an Ländereien aber überschreiten ist ein Gottesraub, wenn es sich um gottgeweihten Besitz handelt. Also die Grenze der Sitte mit Rücksicht auf heilige Dinge aus Begier nach geschlechtlichem Verkehr überschreiten, ist Gottesraub; und somit ist Gottesraub eine specielle Gattung Wollust, die ja auf das Geschlechtliche im allgemeinen geht.
b) Ich antworte, wie früher auseinandergesetzt worden, nehme der Akt der einen Tugend oder des einen Lasters, sobald er eine andere Tugend oder ein anderes Laster zum Zwecke hat, den Wesenscharakter des letzteren an; wie der Diebstahl, den man um des Ehebruches willen vollbringt, in den Wesenscharakter des Ehebruches übergeht. Die Beobachtung der Keuschheit aber, als Gott geweiht und gelobt, also als der Gottesverehrung dienend wird ein Akt der Religion oder Gottesverehrung. (Aug. de virginit. 8.) Also geht auch die Wollust, sobald sie etwas Gottgeweihtes verletzt, in den Wesenscharakter des Gottesraubes über; und danach kann man den Gottesraub als eine Gattung der Wollust betrachten.
c) I. Der Akt der Wollust dient hier dem Zwecke eines anderen Lasters und nimmt somit dessen Wesen an. II. Da werden die Sünden aufgezählt, welche von sich aus, ihrem Wesen nach, Gattungen der Wollust sind. Der Gottesraub aber ist eine Gattung der Wollust, wonach diese zum Zwecke eines anderen Lasters in Beziehung tritt; und danach nur kann der Gottesraub mit den anderen Gattungen der Wollust verglichen werden. Denn mißbraucht jemand eine ihm durch geistige Verwandtschaft verbundene Person, so ist dies ein Gottesraub nach Art der Blutschande. Mißbraucht er eine gottgeweihte Person, so ist dies ein Gottesraub nach Art des Ehebruches. Steht die gemißbrauchte Person unter der Obsorge eines geistigen Vaters, so ist dies im geistigen Sinne eine Verführung; und wird dazu Gewalt gebraucht, so ist dies im geistigen Sinne eine Entführung, welche auch nach den Civilgesetzen schwerer bestraft wird wie eine andere Entführung; vgl. lib. Si quis, cap. de Episc. et Clericis: „Wagt jemand, ich sage nicht, zu rauben, sondern auch nur zu versuchen die Entführung gottgeweihter Jungfrauen, so soll er hingerichtet werden.“ (Justinian.) III. Wird eine gottgeweihte Person fleischlich begehrt, so gehört dieser Gottesraub zur Wollust; wird das Heilige begehrt, um es zu besitzen, so gehört dieser Gottesraub zur Ungerechtigkeit; wer aus Zorn eine heilige Person verletzt oder heilige Speise aus Gaumenlust nimmt, begeht ebenfalls einen Gottesraub. Weil aber manche Personen in besonderer Weise ihre Keuschheit Gott weihen, so wird der Gottesraub in besonderer Weise der Wollust zugeteilt.
