Siebenter Artikel. Die Entfichrung ist eine von der Verführung verschiedene Gattung in der Wollust.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Isidor (5 Etymol. 26.) sagt: „Die Verführung, das heißt Entführung ist im eigentlichen Sinne ein unerlaubtes geschlechtliches Zusammenleben, so daß wer sich der Entführten bemächtigt die Verführung nun genießt.“ Also ist Entführung und Verführung ein und dasselbe. II. Die Entführung schließt ein gewisses Gewaltanthun in sich ein. Denn in den Decreten heißt es (I. c.): „Entführung wird begangen, wenn ein Mädchen mit Gewalt vom Hause des Vaters entfernt wird, damit sie verführt als Gattin betrachtet werde.“ Daß aber jemandem Gewalt an gethan werde; das ist etwas Äußerliches, Zufälliges für die Sünde der Wollust, die an sich bloß das Ergötzen des Zusammenlebens beabsichtigt. III. Die Sünde der Wollust wird durch die Ehe gezügelt, nach 1. Kor. 7.: „Wegen der Unzucht habe ein jeder seine Frau.“ Die Entführung aber ist ein Hindernis für die folgende Ehe. Denn cap. Placuit 36. Qq. 2. (concil. Meldense) heißt es: „Wir verbieten, daß jene, die da Frauen rauben, stehlen oder verführen, diese selben Personen in irgend einer Weise zur Gattin nehmen; wenn auch nachher die Eltern ihre Zustimmung gegeben haben.“ IV. Es kann jemand mit seiner Frau ohne Sünde geschlechtlich zusammenleben. Er kann sie aber aus dem Hause ihrer Eltern mit Gewalt entführen und mit ihr geschlechtlich leben. Auf der anderen Seite „ist die Entführung ein unerlaubtes geschlechtliches Zusammenleben“, wie Isidor (5 Etymol. 26.) sagt. Das aber gehört zur Sünde der Wollust. Also ist die Entführung eine Gattung in der Wollust.
b) Ich antworte, die Entführung, wie wir jetzt das Wort gebrauchen, sei eine Gattung innerhalb der Wollust. Bisweilen aber fällt sie zusammenmit der Verführung, bisweilen ist sie ohne die Verführung und bisweilen ist die Verführung ohne Entführung. Bisweilen also fällt Beides zusammen, wenn nämlich jemand einer Jungfrau Gewalt anthut, um sie unerlaubterweise zu verletzen. Diese Gewalt wird manchmal nun dem Vater und der Jungfrau angethan und manchmal dem Vater allein und nicht der Jungfrau, in dem Falle nämlich, daß diese dazu ihre Zustimmung giebt, mit Gewalt aus dem Hause des Vaters entfernt zu werden. Sodann ist die Entführung von dem Gewaltanthun verschieden, insofern zuweilen die Jungfrau gewaltsam vom Hause der Eltern entführt und gewaltsam verletzt wird; zuweilen aber man sie wohl gewaltsam entfernt, aber mit ihrem Willen verletzt, sei es nach geschlossener Ehe sei es ohne eine solche. Wie immer aber auch Gewalt da angethan wird, es wird das Wesen der Entführung gewahrt. Es findet sich ferner eine Entführung ohne Verführung, wenn nämlich jemand eine Witwe oder ein bereits verletztes Mädchen entführt. Deshalb sagt Papst Symmachus (ep. 5. ad Caesarium c. 4.): „Die Entführer von Witwen und Jungfrauen verabscheuen wir wegen eines so großen Verbrechens.“ Die Verführung findet sich ohne Entführung, wenn jemand, ohne Gewalt anzuthun, eine Jungfrau unerlaubterweise verletzt.
c) I. Meist fällt Entführung mit Verführung, raptus mit stuprum, zusammen und so steht oft das Eine für das Andere. II. Gewaltanthun kommt von der Größe der Begierde, in welcher jemand so weit getrieben wird, daß er selbst vor Gewaltthaten nicht zurückweicht. III. Mädchen, die mit anderen bereits verlobt sind, müssen ihren verlobten wiedergegeben werden, welche auf sie kraft der Verlobung ein Recht haben; die aber nicht verlobt sind, müssen zuerst der väterlichen Gewalt ausgeliefert werden, ehe der Entführer mit der Zustimmung der Eltern sie ehelichen kann. Wird in anderer Weise die Ehe geschlossen, so ist letztere ungültig; denn wer etwas geraubt hat, muß zuerst wiedererstatten. Jedoch wird die bereits geschlossene Ehe durch die Entführung nicht ungültig; nur die noch zu schließende wird gehindert. Was aber in jenem Konzil bestimmt worden, das war der Ausdruck des Abscheues vor diesem Verbrechen und ist bereits aufgehoben. Deshalb sagt Hieronymus (cap. Tria, 36.) das Gegenteil: „Drei Arten rechtmäßiger Ehen finden sich in der heiligen Schrift. Die erste ist, wenn eine reine Jungfrau rechtmäßig einem Manne zur Ehe gegeben wird. Die zweite ist, wenn eine Jungfrau in einer Stadt von einem Manne festgenommen und mit ihm gewaltthätigerweise verbunden wird; in diesem Falle soll, wenn der Vater so zufrieden ist, dieser Mann dem Mädchen die Ausstattung geben, soweit dies der Vater bemißt, und noch dazu einen Preis für die Schamhaftigkeit des Mädchens. Die dritte Art ist, wenn sie dem gewaltthätigen Manne weggenommen und einem anderen gemäß dem Willen des Vaters gegeben wird.“ Oder das Wort des Konzils kann von jenen Frauen verstanden werden, die da bereits versprochen oder gar durch für die Gegenwart bindende Worte mit anderen verlobt d. h. die verheiratet sind. IV. Der ehelich verlobte hat ein Recht auf seine Braut. Er mag also wohl sündigen, wenn er Gewalt gebraucht; es ist dies aber nicht das Verbrechen der Entführung. Deshalb sagt Gelasius (cap. Lex 36. Qq. 1.): „Jenes Gesetz der früheren Fürsten versteht darunter eine Entführung, wenn ein Mädchen mit Gewalt entführt wird, mit Rücksicht auf welches vorher von Hochzeit keine Rede war.“
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