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Über die Seele. (BKV)
20. Cap. Auch ihre ganze übrige Naturausrüstung besitzt die Seele von Anfang an. Die Verschiedenheit in den Geistesfähigkeiten ist durch die äusseren Umstände der Entwicklung bedingt.
Hier ist also die Stelle, den Schluss zu ziehen, alles, was der Seele natürlich ist, wohne ihr selbst als konstituierender Bestandteil inne, schreite mit ihr fort und wachse von dem Augenblick an, wo sie zu sein anfängt. So lehrt auch Seneca, der häufig auf unserer Seite steht: „Anerschaffen sind uns die Keime zu allen Künsten und Altersstufen, und Gott, der verborgene Lehrmeister, lässt die Geisteskräfte hervorgehen”,1 nämlich aus den anerschaffenen und das Kindesalter hindurch noch versteckt gebliebenen Keimen, welche auch die des Intellekts sind. Denn aus diesem gehen die Geisteskräfte hervor.
Auch die Samen der Früchte sind ja von gleicher Art und Gestalt, im Verlauf aber treten Verschiedenheiten ein. Die einen entwickeln sich gleichmässig fort, andere veredeln sich sogar, noch andere endlich entarten, je nach der Beschaffenheit der Witterung und des Bodens, je nach dem Maasse der Mühe und Sorgfalt, je nach der Gunst der Jahreszeiten, je nachdem es die Unfälle mit sich bringen. — In derselben Weise wird auch die Seele im Keime eingestaltig, in der Entwicklung mehrgestaltig sein dürfen.
Denn auch bei ihr kommt auf den Ort etwas an. Zu Theben kommen, wie berichtet wird, stumpfsinnige und dumme Menschen zur Welt, zu Athen seien die Leute flink und gewandt im Denken und Sprechen; daselbst, in Colyttus,2 lernen die Kinder immer noch einen Monat früher sprechen, weil frühreifer Zunge. Plato behauptet im Timäus, Minerva habe, als sie mit Gründung der Stadt umging, auf nichts mehr gesehen, als auf die Beschaffenheit des Ortes, welcher dergleichen Talente hervorzubringen versprochen habe. Deshalb schreibt er selbst auch in der Schrift über die Gesetze3 dem Megillus und Klinias vor, auf Auswahl einer Stelle für die S. 320 zu gründende Stadt bedacht zu sein. Empedokles verlegt die Ursachen der feineren oder gröberen Geistesanlagen in die Beschaffenheit des Blutes; die Vollendung und den Fortschritt aber leitet er vom Unterricht und der Anleitung her. Eine bekannte Sache sind die Volkseigentümlichkeiten. Die Phrygier werden von den Komikern als furchtsam verspottet, Sallust stichelt auf die Mauren als eitle Leute und auf die Dalmatier als wild und unbändig; die Kreter brandmarkt sogar der Apostel als verlogen.
Vielleicht thut auch der Körper und seine Konstitution noch etwas hinzu. Korpulenz ist ein Hindernis des Denkens, Magerkeit befördert dasselbe, Lähmung macht den Geist zerstreut, Zehrung hält ihn zusammen. Um wie viel mehr noch wird das für bloss zufällig gehalten, was, abgesehen von der Leibesbeschaffenheit und Gesundheit, den Geist schärft oder abstumpft. Es schärft ihn Unterricht, Anleitung, Kunst, Erfahrung, Beschäftigung und Studium, es stumpfen ihn ab Unwissenheit, Trägheit, Wollüste, Mangel an Übung, Müssiggang, Laster, ausserdem auch andere Einflüsse, wenn deren noch welche obwalten. Es walten aber deren noch ob, und zwar nach unserer Lehre: Gott und sein Feind, der Teufel, nach der gemeinen Meinung hingegen: das Fatum und die Notwendigkeit der Vorsehung sowie die Willkür des Glücksspiels. Auch die Philosophen unterscheiden diese Dinge, und wir haben uns ebenfalls fest vorgenommen, darüber vom Standpunkt der christlichen Lehre unter besonderem Titel zu handeln.
Es liegt am Tage, wie zahlreich die Einflüsse sind, wodurch die von Natur einfache Seele in so verschiedene Verfassung versetzt wird, so dass sie gemeinhin in die Natur verlegt werden, da sie doch keine verschiedenen Arten, sondern Zufälligkeiten einer und derselben Natur und Substanz sind, jener nämlich, welche Gott in Adam gelegt und zur Mutter aller gemacht hat. Somit werden sie wohl bloss verschiedene Gaben und nicht Abarten der einen Substanz sein, d. h. die Verschiedenheit ist eine bloss sittliche, da sie in Adam, dem Stammvater des Geschlechtes, selbst, so gross nicht gewesen sein wird, als sie jetzt ist. Es musste sich nämlich in Adam, als dem Urquell der Natur, alles dieses finden und von ihm in seiner ganzen Mannigfaltigkeit ausströmen, wenn es Verschiedenheiten der Natur gewesen sein sollen.
Edition
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De Anima
XX. DE NATVRALIBVS.
[1] Et hic itaque concludimus omnia naturalia animae ut substantiua eius ipsi inesse et cum ipsa procedere atque proficere, ex quo ipsa censetur. Sicut et Seneca saepe noster: insita sunt nobis omnium artium et aetatum semina, magisterque ex occulto deus producit ingenia, ex seminibus scilicet insitis et occultis per infantiam, quae sunt et intellectus. Ex his enim producuntur ingenia. [2] Porro et frugum seminibus una generis cuiusque forma est, processus tamen uarii: alia integro statu euadunt, alia etiam meliora respondent, alia degenerant pro condicione caeli et soli, pro ratione operis et curae, pro temporum euentu, pro licentia casuum; ita et animam licebit semine uniformem, fetu multiformem. Nam et hic etiam de locis interest. [3] Thebis hebetes et brutos nasci relatum est, Athenis sapiendi dicendique acutissimos, ubi penes Colyttum pueri mense citius eloquuntur praecoca lingua, siquidem et Plato in Timaeo Mineruam affirmat, cum urbem illam moliretur, nihil aliud quam regionis naturam prospexisse talia ingenia pollicitam; unde et ipse in Legibus Megillo et Cliniae praecipit condendae ciuitati locum procurare. Sed Empedocles causam argutae indolis et obtusae in sanguinis qualitate constituit, perfectum ac profectum de doctrina disciplinaque deducit. Tamen uulgata iam res est gentilium proprietatum. Comici Phrygas timidos inludunt, Sallustius uanos Mauros et feroces Dalmatus pulsat, mendaces Cretas etiam apostolus inurit. [4] Fortassean et de corpore et ualetudine aliquid accedat. Opimitas sapientiam impedit, exilitas expedit, paralysis mentem prodigit, pthisis seruat. Quanto magis de accidentibus habebuntur quae citra corpulentiam et ualentiam uel acuunt uel obtundunt! Acuunt doctrinae disciplinae artes et experientiae negotia studia; obtundunt inscitiae ignauiae desidiae libidines inexperientiae otia uitia, super haec, si et aliquae praesunt potestates. [5] Enimuero praesunt, secundum nos quidem deus dominus et diabolus aemulus, secundum communem autem opinionem prouidentia et fatum et necessitas et fortuna et arbitrii libertas. Nam haec et philosophi distinguunt, et nos secundum fidem disserenda suo iam uouimus titulo. [6] Apparet quanta sint quae unam animae naturam uarie collocarint, ut uulgo naturae deputentur, quando non species sint, sed sortes naturae et substantiae unius, illius scilicet quam deus in Adam contulit et matricem omnium fecit; atque adeo sortes erunt, non species substantiae unius, id est uarietas ista moralis, quanta nunc est, tanta non fuerit in ipso principe generis Adam. Debuerant enim fuisse haec omnia in illo ut in fonte naturae atque inde cum tota uarietate manasse, si uarietas naturae fuisset.