12.
Moses lästert also nicht auf Sonne und Mond, wenn er ihre Verehrung untersagt (403,10), sondern er lobt sie als himmlische Schöpfung, Gott aber lobt er als Schöpfer der himmlischen und irdischen Dinge, und er will nicht, dass Gott beleidigt wird, indem jene Dinge statt seiner selbst verehrt werden, die doch das Lob nur wegen ihm und dank ihm verdienen. Doch wie scharfsinnig ist sich Faustus vorgekommen, als er Moses dafür tadelte, dass er auch den als verflucht bezeichnet, der Sonne und Mond verehrt! Er sagte da (403,11): Angenommen also, ich würde als Untertan eines heidnischen Herrschers gezwungen, die Sonne anzubeten, und man liesse mich kreuzigen, weil ich das, aus Furcht vor diesem Fluch, verweigerte: so würde ich nun dem andern Fluch anheim fallen, den Moses gegen jenen hervorholte, der am Holz hängt. Euch allerdings zwingt kein heidnischer König, die Sonne zu verehren, wozu euch nicht einmal die Sonne selber zwingen würde, wenn sie auf der Erde die Königsherrschaft innehätte; denn auch jetzt geht ja eure Verehrung nicht auf ihren Wunsch zurück. Doch wie der Schöpfer selber seine gottlosen Lästerer bis zum Tag des Gerichts erträgt, genauso ertragen diese Himmelskörper ihre eitlen Verehrer bis zum Tag, an dem ihr Schöpfer Gericht hält. Denkt aber auch daran, dass euch ein christlicher König nie und nimmer zwingen würde, die Sonne zu verehren! Faustus hat ja für sein Beispiel einen heidnischen König angeführt, natürlich im Wissen, dass das, was ihr mit eurer Sonnenverehrung tut, eine heidnische Sache ist; es hat also nichts Christliches an sich. Doch das Rebhuhn lässt ja schon allüberall den Namen Christi fallen, um einsammeln zu können, was es nicht selber zum Leben gebracht hat (cf. Jer. 17,11). Seht nun aber trotzdem, wie leicht es der Wahrheit fällt, darauf zu antworten, wie leicht die gesunde Lehre das scheinbar unentrinnbare und doppelgesichtige Fangnetz eurer Frage zerreissen kann! Wohlan denn, lassen wir jemanden, der mit königlicher Macht ausgestattet ist, einem Christen drohen, dass er ihn ans Holz schlagen lasse, wenn er sich weigert, die Sonne zu verehren! Wenn ich nun, sagtest du (cf. 403,12), dem Fluch entkommen bin, den das Gesetz für den Verehrer der Sonne bereithält (cf. Deut. 17,3), werde ich jenem andern Fluch anheim fallen, den dasselbe Gesetz für den bereithält, der ans Holz geschlagen wurde (cf. Deut. 21,23). So ratlos wirst du dastehen; das widerfährt aber nur dir; nein, genau besehen auch dir nicht, denn du verehrst ja die Sonne, ohne dass dich jemand dazu zwingt! Der Christ dagegen, der sich auf das Fundament der Apostel und Propheten stützt, richtet seinen Blick auf die Gründe für den jeweiligen Fluch und auf dessen Inhalt; und er sieht, dass sich der eine Fluch auf den sterblichen Körper bezieht, der am Holz hängt, der andere auf die Seele, die die Sonne anbetet. Denn auch wenn der Körper sich bei der Anbetung niederbeugt, so ist es doch die Seele, die dem angebeteten Objekt huldigt, oder es wenigstens vorspielt. Beide Verfluchungen aber bedeuten Unheil. Da es in beiden Fällen der Tod ist, welcher sich den Fluch zuzieht – am Kreuz hängen bedeutet den Tod des Körpers, die Sonne anbeten den Tod der Seele –, gilt es also, jenen Fluch zu wählen, der eine Folge des körperlichen Todes ist, da ja bei der Auferstehung auch der Körper von ihm erlöst sein wird, dagegen jenem Fluch zu entgehen, der dem Tod der Seele folgt, damit sie nicht zusammen mit ihrem Körper zum ewigen Feuer verurteilt wird. Diese Frage löste uns nämlich der Herr selber mit den Worten (Mt. 10,28): Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können; fürchtet euch vielmehr vor dem, der die Macht hat, Seele und Leib in die Feuerhölle zu stürzen, was so viel heisst wie: Fürchtet euch nicht vor dem Fluch, der dem körperlichen Tod gilt, da dieser nur auf Zeit wirkt, fürchtet euch vielmehr vor dem Fluch, der dem geistigen Tod gilt, durch den die Seele in Ewigkeit zusammen mit ihrem Körper Qualen erleidet. Da haben wir es: Der Satz: Verflucht ist ein jeder, der am Holz hängt (deut. 21,23) ist keine altweiberhafte Verwünschung, sondern prophetische Vorhersage. Denn Christus wird mit dem Fluch, der ihn selber trifft, den Fluch beseitigen, so wie er mit seinem Tod den Tod, mit seiner ‛Sünde’ die Sünde beseitigen wird (cf. Rm. 8,3; II Kor. 5,21). Moses hat also, wenn er sagt (deut. 21,23): Verflucht ist ein jeder, der am Holz hängt keine Lästerung ausgesprochen, genauso wenig wie die Apostel, wenn sie lehrten: Er ist gestorben (cf. II Kor. 5,14 f.) oder: Unser Alter Mensch ist mit ihm mitgekreuzigt worden (Rm. 6,6) oder: Er verurteilte die Sünde von seiner eigenen ‛Sünde’ her (Rm. 8,3) oder: Ihn, der keine Sünde kannte, machte er zur ‘Sünde’ für uns, und vieles von der Art. Wenn euch also davor schaudert, dass Christus verflucht wurde, gebt nur zu, dass euch eigentlich vor dem Tod Christi schaudert! Da wird nun also statt einer altweiberhaften Verwünschung eure teuflische Verstellungskunst offenbar, die ihr durch den Tod eurer eigenen Seele nicht an den leiblichen Tod Christi glauben könnt; dabei wollt ihr noch weismachen, dass der Tod Christi nicht echt sondern vorgetäuscht war, als ob ihr es nicht wagtet, die Menschen mit dem Namen Christi zu täuschen, wenn ihr nicht Christus selber zum Meister der Täuschung machtet.
