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Und trotzdem nehmt ihr euch heraus, auch noch die Opfer des Alten Testaments (284,15) zu verfluchen und sie als Götzendienst zu bezeichnen, ja sogar uns als Bundesgenossen für eine solch gotteslästerliche Aussage zu benutzen. So antworten wir darauf zuerst für uns: zwar vollziehen wir jene Opfer nicht mehr im Gottesdienst, wir heissen sie aber weiterhin als Heilsgeheimnisse der Göttlichen Schriften willkommen, um sie daraufhin zu interpretieren, was sie uns für die Zukunft ankündigen; denn auch sie waren ja Modellbilder für uns (I Kor. 10,6), und allesamt wiesen sie in all ihren Varianten sinnbildhaft auf das eine Opfer hin, dessen Gedächtnis wir heute feiern. Nachdem nun dieses Opfer offenbar geworden ist, und zu gegebener Zeit dargebracht wurde, sind jene Opfer aus dem Kalender der Festfeiern gestrichen, doch in ihrer Bedeutung als Sinnbilder erhalten geblieben; denn geschrieben wurde es für uns, die das Ende der Zeiten erreicht hat (I Kor. 10,11). Bei diesen Opfern empört euch natürlich die Tötung von Lebewesen, obwohl doch die gesamte Kreatur gewissermassen von den Bedingungen der Schöpfung her für die Bedürfnisse des Menschen zur Verfügung steht. Ihr aber verweigert zwar einem hungernden Bettler das Brot, zeigt dagegen Mitleid mit dem Vieh, das nach eurem Glauben eine menschliche Seele besitzt. Der Herr Jesus dagegen war grausam zu diesem Vieh, als er den Dämonen auf ihre Bitte hin erlaubte, in eine Schweineherde zu fahren (cf. Mt. 8,32), wie er ja auch, bevor durch sein Leiden das Opfer seines eigenen Leibes offenbart war, einem Aussätzigen, der durch ihn rein geworden war (Lk. 5,14/lev. 14,2 ff.), sagte: Geh und zeige dich dem Priester, und bring für dich das Reinigungsopfer dar, das Moses angeordnet hat, jenen zum Zeugnis! Da nun aber Gott durch die Propheten immer wieder bezeugt ( ), dass ihn nicht nach solchen Opfergaben verlangt, und da zudem kein langes Überlegen nötig ist, um zu erkennen, dass jemand, dem es an nichts mangelt, auch kein Opfer benötigt, drängt sich dem menschlichen Geist umso mehr die Frage auf, was uns Gott mit dieser Anordnung (lev. 14,2) mitteilen wollte; denn ganz gewiss würde er nicht einfach so leichthin verlangen, dass ihm ein Opfer dargebracht wird, das er nicht benötigt, es sei denn, er möchte uns damit etwas vor Augen führen, das zu kennen für uns gut wäre, und das sich mithilfe solcher Zeichen modellhaft darstellen liess. Wie viel redlicher und anständiger wäre es doch, wenn ihr euch diesen Opfern unterziehen würdet, die zwar in unserer Zeit nicht mehr notwendig sind, dafür aber ihre Funktion als Sinnbild und Mitteilung erfüllen, statt euch selber von euren Hörern lebende Opfergaben darbringen zu lassen und auch noch daran zu glauben. Denn wenn der Apostel Paulus über gewisse Verkünder des Evangeliums, die das nur tun, um sich den Bauch zu füllen, sehr passend sagte (Phil. 3,19): Ihr Gott ist der Bauch, wie viel anmassender ist da eure Respektlosigkeit, auf die ihr so stolz seid, wenn ihr bedenkenlos euren Magen – nein, nicht als Gott, sondern, was noch skrupellosere Frechheit beweist – als Reinigungsanlage eures Gottes bezeichnet! Von welcher Sinnesverwirrung zeugt es schliesslich, einerseits als tugendhaft erscheinen zu wollen, weil man sich weigert, Tiere zu töten, anderseits sämtlichen Speisen die gleiche Seele zuzusprechen, ihnen dann aber, obwohl sie angeblich noch leben, mit Händen und Zähnen soviel Wunden zuzufügen!
