1. Über das Kloster des Abtes Paulus und die Geduld eines gewissen Bruders.
S. b242 Nach sehr wenigen Tagen gingen wir, von der Begierde nach weiterer Belehrung getrieben, wieder mit größtem Geisteseifer nach dem Kloster des Abtes Paulus. 1 Obwohl dort ohnehin schon eine Zahl von mehr als zweihundert Brüdern wohnte, so war doch zu Ehren einer Feier, welche gerade statt fand, auch aus andern Klöstern eine unermeßliche Menge von Mönchen zusammengeströmt. Denn es wurde der Jahrestag der Beerdigung des vorigen Abtes, der diesem Kloster vorgestanden war, feierlich ge- S. b243 halten. Wir machen deßhalb von dieser Zusammenkunft Erwähnung, weil wir die Geduld eines gewissen Bruders welche vor dieser ganzen Versammlung in unerschütterlicher Sanftmuth glänzte, kurz berühren wollen. Denn obwohl unsere Absicht bei diesem Buche anderswohin zielt, nemlich die Reden des Abtes Johannes vorzuführen, der die Wüste verlassen und sich in größter Demuth diesem Kloster unterworfen hatte, so halten wir es doch keineswegs für unpassend, wenn ohne Umschweif der Worte allen nach der Tugend Strebenden eine, wie wir glauben, große Erbauung zu Theil werden kann. Da sich also jene Menge von Mönchen in einem sehr großen Hofe in Reihen von je Zwölfen gelagert und ein Bruder irgend ein erhaltenes Gericht viel zu langsam hereingebracht hatte, da streckte wegen dieser Langsamkeit der genannte Abt Paulus, der unter den Schaaren der dienenden Brüder sorgsam umherlief, die Hand aus und schlug Jenen vor Aller Augen mit der Fläche derselben, so daß der Schall auch zu den Ohren der abgewandt oder entfernt Sitzenden drang. Das that er aber nur, um die Geduld des Jünglings Allen, welche anwesend waren, kund zu machen, damit Alle, welche einem solchen Schauspiele anwohnten, durch das Beispiel der Bescheidenheit belehrt würden. Der Erfolg zeigte, daß der Altvater hierin nach gut gedachtem Plane gehandelt habe. Denn dieser merkwürdig geduldige Jüngling nahm es mit solcher Gemüthsruhe auf, daß nicht nur seinem Munde kein Wort entschlüpfte und auch nicht das geringste Murren in der stillen Bewegung der Lippen sich zeichnete, sondern daß auch die Bescheidenheit und Ruhe des Gesichtes, ja selbst die Farbe sich nicht im Geringsten änderte. Dieses Vorkommniß war nicht nur uns, die wir erst kurz aus dem syrischen Kloster kamen und nun die Tugend der Geduld durch so auffallende Beispiele kennen lernten, sondern auch Jenen, welche solcher Bestrebungen nicht ganz unkundig waren, so merkwürdig, daß selbst den bedeutendsten Männern durch diese Thatsache eine treffliche Belehrung S. b244 zu Theil wurde, weil nemlich, wenn auch die väterliche Züchtigung seine Geduld nicht erschütterte, nicht einmal das Zuschauen einer solchen Menge sein Gesicht mit irgend einem Zeichen der Scham färben konnte.
Da es mehrere sehr fromme und gleichzeitig lebende Aebte dieses Namens gab, so ist schwer zu sagen, welcher hier gemeint ist. Wahrscheinlich ist es Paulus, der auf dem Berge Pherme in der Scythis wohnte; vgl. Sozom. 6, 29, wo auch der folgende Johannes als Abt und großer Wunderthäter erwähnt wird. ↩
