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Über die Seele. (BKV)
24. Cap. Wenn die Seele ohne Anfang und ihr Lernen nur ein Wiedererinnern wäre, wie Plato will, so müsste sie eine Art göttliches Wesen sein.
Fürs erste gebe ich nicht zu, dass die Seele eines derartigen Vergessens fähig sei; denn Plato räumt ihr eine so hohe Stufe der Göttlichkeit ein, dass er sie Gott gleichstellt. Er lässt sie ungeworden sein, woraus ich allein schon einen starken Beweis für ihre vollkommene Gottheit machen könnte. Er fügt hinzu, sie sei unsterblich, unvergänglich, S. 324 unkörperlich, weil er Gott auch dafür gehalten hat, unsichtbar, nicht abzubilden, eingestaltig, sie sei das Oberste, mit Vernunft und Erkenntnis begabt. Wenn er die Seele Gott nennete, er würde ihr keine höhere Eigenschaft beilegen. Wir aber, die wir Gott ein solches Anhängsel nicht geben, setzen aus eben diesem Grunde die Seele tief unter Gott, weil wir sie als geworden ansehen und dadurch eben als eine verdünnte Abart der Gottheit und von schwächerer Glückseligkeit, wie ein Hauch, nicht wie ein Geist, und wenn sie auch unsterblich ist, was etwas Göttliches ist, so doch leidensfähig, was vom Geborensein herrührt. Darum sei sie auch von Anbeginn an der Gefahr der Beraubung ausgesetzt gewesen und deshalb des Vergessens fähig. Hierüber haben wir mit Hermogenes genug verhandelt.
Um sämtliche Eigenschaften mit Gott gleich zu haben und so mit Recht für eine Gottheit gehalten werden zu können, dürfte die Seele keinem Leiden unterworfen sein, mithin auch nicht dem Vergessen. Denn das Vergessen ist ein ebenso grosser Nachteil als das, dem es Eintrag thut, ein Ruhm ist, nämlich ein gutes Gedächtnis. Letzteres preist Plato selbst als die Sicherstellung der Sinne und Erkenntnisse und Cicero als die Schatzkammer aller Studien. Man wird jetzt nicht sowohl das in Zweifel ziehen, ob die in so hohem Grade vergöttlichte Seele das Erinnerungsvermögen verlieren, sondern vielmehr, ob sie es, wenn sie es verloren hat, wieder gewinnen könne. Ich weiss nicht, ob sie sich wieder zu erinnern imstande sein wird, wenn sie vergessen hat, was sie nicht hätte vergessen sollen. So würde also beides auf die Seele passen, wie ich sie will, nicht auf die Platonische.
An zweiter Stelle mache ich die Einwendung: Soll die Seele von Natur aus an den Ideen teil haben oder nicht? — Ja wohl, von Natur aus, ist die Antwort. Dann wird niemand zugeben, dass das natürliche Wissen um die natürlichen Fertigkeiten verloren gehe. Die Kenntnis von Studien, Lehren, Anleitungen mag verloren gehen, vielleicht sogar auch die von Fähigkeiten und Affekten, welche zwar zur Natur zu gehören scheinen, aber, wie gezeigt, doch nicht dazu gehören, sondern die je nach Ort, Erziehung, Körperbeschaffenheit, Gesundheit, den vorherrschenden Kräften und der Freiheit des Wahlvermögens auf Zufälligkeiten basieren.
Das Wissen um zur Natur gehörige Dinge nimmt jedoch nicht einmal bei den Tieren ab. Allerdings vergisst der Löwe seiner Wildheit, wenn er zur Zahmheit abgerichtet ist, wird mit dem ganzen Wulste seiner Mähnen ein Spielzeug für irgend eine Königin wie Berenice werden und mit seiner Zunge ihre Wangen rein lecken. Von Gewohnheiten sagt das Tier sich los, das Wissen um ihm Natürliches wird bleiben. Nie vergisst der Löwe seiner natürlichen Nahrung, seiner natürlichen Arzneien, seiner natürlichen Schreckmittel. Wenn die Königin ihm Fische und Kuchen anbieten wollte, so wird er Fleisch begehren. Wollte sie ihm, wenn er krank ist, einen S. 325 Theriak zurecht machen, so wird er seinen Affen verlangen. Wenn sie ihm gegenüber auch keinen Jagdspiess befestigt, so wird er sich doch vor einem Hahn fürchten.
Ebenso verbleibt dem Menschen, vielleicht dem vergesslichsten Wesen von allen, die Kenntnis des Natürlichen allein ungetrübt, da sie allein ihm natürlich ist. Er wird also immer an das Essen denken bei Hunger, an das Trinken bei Durst, mit den Augen sehen, mit den Ohren hören, mit der Nase riechen, mit dem Munde schmecken und mit der Hand tasten. Das sind die Sinne, welche die Philosophie mit Bevorzugung des Intellektuellen heruntersetzt.
Wenn also das natürliche Wissen auf sinnlichem Gebiete bleibt, wie kommt es, dass es auf dem intellektuellen, welches doch für vorzüglicher gilt, untergeht? Woher gerade hier der Einfluss jenes Vergessens, welches dem Wiedererinnern vorhergehen soll? Von der Länge der Zeit, sagt man. — Kurzsichtig genug! Die Zeitdauer wird keinen Einfluss auf Wesen haben, die angeblich ungeboren sind und gerade darum für ewig gehalten werden. Denn für das, was, weil es ungeboren, ewig ist, gibt es keinen Anfang und kein Ende der Zeit und es lässt darum auch gar kein Zeitmaass zu. Wofür es aber kein Zeitmaass gibt, das ist auch der Zeit nicht unterworfen durch irgend eine Veränderung und dieser aus der Länge der Zeit angeblich hervorgehende Einfluss existiert nicht. Wenn die Zeit das Vergessen verursacht, warum verlässt das Gedächtnis die Seele erst von der Zeit an, wo sie in den Körper eintritt, als ob es erst von da an für sie, die ohne Zweifel früher als der Körper, aber doch nicht ohne die Zeit existierte, eine Zeit gebe.
In den Körper eingetreten, vergisst sie dann sofort, oder dauert es erst noch eine Zeit? — Wenn es sofort geschieht, welches wird dann die Länge einer Zeit sein, die noch gar nicht zählt? Es ist ja das Alter der unmündigen Kinder. Wenn es aber erst eine zeitlang dauert, so wird sich doch die Seele noch des Gedächtnisses in jenem Zeitraume vor dem Eintritt des Vergessens erfreuen? Was soll es nun heissen, dass sie später vergisst und sich später nochmal wieder erinnert? In welcher Zeitfrist auch immer das Vergessen eintritt, wie lange man das Zeitmaass auch ansetzt, die ganze Lebensdauer, sollte ich denken, wäre nicht hinreichend, um das Andenken an die lange Periode vor der Annahme des Körpers zu verwischen.
Veränderung halber verlegt Plato den Grund nun wieder in den Körper, als wenn es glaubhaft wäre, dass eine gewordene Substanz die Macht einer ungewordenen auslöschen könnte. Gross und zahlreich aber sind die Verschiedenheiten der Körper je nach Abkunft, Grösse, Haltung, Alter und Gesundheit. Soll man danach nun auch die Verschiedenheiten im Vergessen abschätzen? Das Vergessen ist aber ganz das gleiche. Folglich wird ein ganz gleichförmiger Ausgang nicht durch eine S. 326 verschiedengestaltige Körperlichkeit verursacht. Viele Beweise bekunden, sogar nach Platos Zeugnis selbst, das Ahnungsvermögen der Seele. Wir haben sie bereits dem Hermogenes dargelegt.1 Wohl kein Mensch fühlt nicht zu Zeiten einmal in sich die Seherkraft seiner Seele oder ihre Ahnungen von Unheil, Gefahren oder Freude. Wenn nun der Körper dem Ahnungsvermögen nicht hinderlich ist, so wird er auch dem Gedächtnis, sollte ich denken, nicht im Wege stehen. Denn es ist sicher der nämliche Körper, in welchem die Seele vergisst und sich erinnert. Bewirkt irgend ein im Körper liegender Grund das Vergessen, wie kann er dann das Gegenteil, das Wiedererinnern, zulassen? Das Wiedererinnern nach dem Vergessen ist ja nur das wiederkehrende Gedächtnis. Was aber dem ersten Erinnern zuwider ist, warum sollte das nicht auch dem zweiten entgegenstehen?
Wer könnte endlich ein besseres Erinnerungsvermögen besitzen als die Kinder, deren Seelen noch frisch sind, noch nicht hineingezogen in die Sorgen des häuslichen und öffentlichen Lebens und solchen Studien hingegeben, deren Lernen ein Wiedererinnern wird? Richtiger gesagt, warum erinnern wir uns nicht alle in gleichem Grade wieder, da wir in gleichem Grade vergessen? Warum erinnern sich allein die Philosophen und auch sie nicht einmal alle? Denn, wohlgemerkt, in dem ganzen grossen Gewimmel von Völkern, auf der weiten Trift der Weisheit ist es Plato ganz allein, der die Ideen vergessen und sich ihrer wieder erinnert hat. Wenn also diese seine vornehmste Argumentation in keiner Weise standhält, so ist damit das Ganze über den Haufen geworfen, wofür sie berechnet ist, und man hat die Seelen eigentlich nur darum für unentstanden, in den himmlischen Räumen wohnhaft, dort des Göttlichen mitwissend, von da hierher versetzt und hier sich wiedererinnernd gehalten, um den Häretikern Anknüpfungspunkte zu verschaffen.
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Vgl. Anm. 5 zu S. 321. ↩
Edition
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De Anima
XXIV. ADVERSVS PLATONIS μαθήσεις καὶ ἀναμνήσεις.
[1] Primo quidem obliuionis capacem animam non cedam, quia tantam illi concessit diuinitatem, ut deo adaequetur. Innatam eam facit, quod et solum armare potuissem ad testimonium plenae diuinitatis; adicit immortalem, incorruptibilem, incorporalem, quia hoc et deum credidit, inuisibilem, ineffigiabilem, uniformem, principalem, rationalem, intellectualem. Quid amplius proscriberet animam, si eam deum nuncuparet? [2] Nos autem, qui nihil deo adpendimus, hoc ipso animam longe infra deum expendimus, quod natam eam agnoscimus ac per hoc dilutioris diuinitatis et exilioris felicitatis, ut flatum, non ut spiritum; et si immortalem, ut hoc sit diuinitatis, tamen passibilem, ut hoc sit natiuitatis, ideoque et a primordio exorbitationis capacem et inde etiam obliuionis affinem. Satis de isto cum Hermogene. [3] Ceterum quae, ut haberi merito possit ex peraequatione omnium proprietatum deus, nulli passioni subiacebit, ita nec obliuioni, cum tanta sit iniuria obliuio quanta est gloria eius cuius iniuria est, memoria scilicet, quam et ipse Plato sensuum et intellectuum salutem et Cicero thesaurum omnium studiorum praedicauit. Nec hoc iam in dubium deducetur, an tam diuina anima memoriam potuerit amittere, sed an quam amiserit recuperare denuo possit. Quae enim non debuit obliuisci, si oblita sit, nescio an ualeat recordari. Ita utrumque meae animae, non Platonicae congruet. [4] Secundo gradu opponam: natura compotem animam facis idearum illarum, an non? 'Immo natura', inquis. Nemo ergo concedet naturalem scientiam naturalium excidere; artium excidet, studiorum; excidet doctrinarum, disciplinarum; excidet fortasse et ingeniorum et affectuum, quae naturae uidentur, non tamen sunt, quia, ut praemisimus, et pro locis et pro institutionibus et pro corpulentiis ac ualetudinibus et pro potestatibus dominatricibus et pro libertatibus arbitrii ex accidentibus constant. [5] Naturalium uero scientia ne in bestiis quidem deficit. Plane obliuiscetur feritatis leo mansuetudinis eruditione praeuentus et cum toto suggestu iubarum delicium fiet Berenices alicuius reginae lingua genas eius emaculans. Mores bestiam relinquent, scientia naturalium permanebit. Non obliuiscetur idem naturalium pabulorum, naturalium remediorum, naturalium terrorum; et si de piscibus et si de placentis regina ei obtulerit, carnem desiderabit, et si languenti theriacam composuerit, simiam leo requiret, et si nullum illi uenabulum obfirmabit, gallum tamen formidabit. [6] Perinde et homini omnium forsitan obliuiosissimo inoblitterata perseuerabit sola scientia naturalium, ut sola scilicet naturalis, memor semper manducandi in esurie et bibendi in siti, et oculis uidendum et auribus audiendum et naribus odorandum et ore gustandum et manu contrectandum. Hi sunt certe sensus, quos philosophia depretiat intellectualium praelatione. [7] Igitur si naturalis scientia sensualium permanet, quomodo intellectualium, quae potior habetur, intercidet? Vnde nunc ipsa uis obliuionis antecedentis recordationem? 'Ex multitudine', ait, 'temporis'. Satis improspecte! Quantitas enim temporis non pertinebit ad eam rem quae innata dicatur ac per hoc potissimum aeterna credatur. Quod enim aeternum est, eo quia et innatum est, neque initium neque finem temporis admittendo nullum modum temporis patitur; cui temporis modus nullus est, nec ulla demutatione tempori subest nec ea de multitudine temporis uis est. [8] Si tempus in causa est obliuionis, cur ex quo anima corpori inducitur, memoria delabitur, quasi exinde tempus anima sustineat, quae sine dubio prior corpore non fuit utique sine tempore? Ingressa uero corpus statimne obliuiscitur, an aliquanto post? Si statim, et quae erit temporis nondum subputandi multitudo? [Infantia scilicet.] Si aliquanto post, ergo illo in spatio ante tempora obliuionis memor adhuc aget anima. Et quale est, ut postea obliuiscatur et rursus postea recordetur? Quoque autem tempore illam obliuio inruerit, quantus hic etiam habebitur modus temporis? Tota, opinor, uitae decursio satis non erit ad euertendam memoriam tanti ante corpus aeui. [9] Sed rursus Plato causam demutat in corpus, quasi et hoc fide dignum, ut nata substantia innatae uim extinguat. Magnae autem ac multae differentiae corporum pro gentilitate, pro magnitudine, pro habitudine, pro aetate, pro ualetudine. Num ergo et obliuionum differentiae aestimabuntur? Sed uniformis obliuio est; ergo non erit corporalitas multiformis in causa exitus uniformis. [10] Multa item documenta teste ipso Platone diuinationem animae probauerunt, quae proposuimus iam Hermogeni. Sed nec quisquam hominum non et ipse aliquando praesagam animam suam sentit, aut ominis aut periculi aut gaudii augurem. Si diuinationi non obstrepit corpus, nec memoriae, opinor, officiet. In eodem certe corpore et obliuiscuntur animae et recordantur. Si qua corporis ratio incutit obliuionem, quomodo contrariam eius admittet recordationem (quia et ipsa post obliuionem recordatio memoria recidiua est)? Quod primae memoriae aduersatur, cur non et secundae refragatur? [11] Postremo, qui magis reminiscerentur quam pueruli, ut recentiores animae, ut nondum immersae domesticis ac publicis curis, ut ipsis solis debitae studiis, quorum discentiae reminiscentiae fiunt? Immo cur non ex aequo omnes recordamur, cum ex aequo omnes obliuiscamur? Sed tantummodo philosophi; ne hi quidem omnes. Plato scilicet solus in tanta gentium silua, in tanto sapientium prato, idearum et oblitus et recordatus est. [12] Igitur et si nullo modo consistit argumentatio ista praecipua, totum illud pariter euersum est, cui accommodata est, ut animae et innatae et in caelestibus conuersatae et consciae diuinorum illic et inde delatae et hic recordatae crederentur, ad occasiones plane haereticis subministrandas.