36.
Vielleicht möchte jemand einwenden, diese Worte seien zugunsten jener gesprochen, welche in Armut und Dürftigkeit Unrecht erleiden müssen. Es mag sein. Doch lasse dich auch durch folgende Erwägung zum Mitleid bewegen! Wenn jenen Unrecht geschieht, ist die Sorge (Gottes) so groß; wenn jene aber Gutes erfahren, ist (Gottes) Dank offenbar noch größer. Wenn der, welcher einen Armen verachtet, den Schöpfer zum Zorne reizt1, dann ehrt den Schöpfer der, welcher sich seines Geschöpfes annimmt. Wenn du (das Schriftwort) hörst: „Der Arme und der Reiche begegnen sich; beide hat der Herr erschaffen2“, dann darfst du nicht meinen, der Herr habe den einen als Armen, den anderen als Reichen erschaffen, damit du dich noch mehr über den Armen erhebest. Denn es steht nicht fest, daß jene Verschiedenheit von Gott komme. Vielmehr sind ― so will die Schrift sagen ― beide in gleicher Weise Gottes Geschöpfe, mögen auch ihre äußeren Verhältnisse verschieden sein. Lasse dich durch diese Erwägung zu Mitleid und Bruderliebe bewegen! Während der erste Teil (der S. 305 Schriftworte) dich stolz machen könnte, soll der zweite Gedanke dich demütigen und bescheidener machen. Weiter heißt es in der Schrift: „Wer sich des Armen erbarmt, leiht Gott auf Zinsen3.“ Wer sollte einen solchen Schuldner zurückweisen, der das Darlehen zur Zeit mit Zinsen zurückgibt? Wiederum steht geschrieben: „Durch Barmherzigkeit und Treue wird man von Sünden gereinigt4.“
