37. Cap. Hinsichtlich ihrer moralischen Beschaffenheit soll die Materie nach Hermogenes' Lehre weder gut noch schlecht sein.
Jetzt kehrst Du, wie ich merke, wieder zu der ersten Gründlichkeit zurück, welche die Gewohnheit hat, Dir kein sicheres Resultat zu liefern. S. 94 In derselben Weise nämlich, wie Du die Materie als weder gut noch schlecht hinstellst, bringst Du nun vor, sie sei weder gut noch schlecht, und sophistisierst demgemäss: „Wenn sie gut wäre, so würde sie, da sie dies beständig gewesen ist, nicht nach der ordnenden Hand Gottes verlangen; wäre sie aber von Natur aus schlecht, so würde sie sich die Überführung in einen bessern Zustand nicht gefallen lassen, und Gott würde bei solcher Beschaffenheit ihr von seiner Ordnung nichts beibringen können; er hätte sich vergeblich angestrengt.” Das sind Deine Worte, deren Du Dich an einer andern Stelle hättest erinnern sollen, um nicht ganz entgegengesetzte Dinge zu behaupten. Allein da wir über die zweifelhafte Stellung des Guten und Bösen betreffs der Materie früher gehandelt haben,1 so will ich auf Deine vorliegende und alleinige Proposition und Beweisführung antworten. Auch hier will ich nicht geltend machen, dass Du eine bestimmte Behauptung hättest aussprechen müssen, entweder dass sie gut, oder dass sie schlecht, oder sonst etwas drittes sei; aber Du bist auch nicht einmal der Behauptung treu geblieben, die Du aufzustellen beliebt hattest. Du stössest nämlich wieder um, was Du aufgestellt hast, dass sie weder gut noch schlecht sei, indem Du sagst: „Wenn sie gut wäre, so würde sie nicht verlangen, von Gott geordnet zu werden.” Damit verrätst Du, dass sie schlecht sei; und wenn Du hinzufügst: „Wenn sie von Natur schlecht wäre, so würde sie sich keine Verbesserung gefallen lassen”, so verrätst Du damit, dass sie gut ist. Somit hast Du sie zu etwas gemacht, was an das Gute und an das Schlechte angrenzt, indem Du sie weder für gut noch für schlecht ausgibst. Um aber die Beweisführung, womit Du Deinen Satz stützen zu können meintest, umzustürzen, halte ich Dir noch dies entgegen: War die Materie immer gut, warum hätte sie nicht verlangen sollen, noch besser zu werden? Jedes gute Wesen verlangt nach Fortgang im Guten, wünscht ihn und lässt ihn sich gefallen, um vom Guten zum Bessern zu gelangen. Umgekehrt, war ihre Natur schlecht, warum konnte sie nicht von Gott, als dem Stärkern, der auch Steine zu Kindern Abrahams umzuwandeln vermag, umgewandelt werden? Also Du stellst Gott nicht bloss mit der Materie zusammen, sondern sogar unter sie, da er nicht imstande gewesen sein soll, die Naturbeschaffenheit der Materie zu überwinden und sie mit Gewalt besser zu machen. Hier soll nun die Materie nicht von Natur schlecht sein, aber wirst Du leugnen können, dass Du an andern Stellen dies eingeräumt hast?
Oben Cap. 7—13. ↩
