VIII. Kapitel
S. 23 Der Name Pflichtenlehre nicht bloß den Philosophen, sondern auch den Hagiographen geläufig (25). Erklärung desselben (26).
25. Rechtfertigen nun die Personenumstände die Abfassung der Pflichtenlehre, so laßt uns sehen, ob dieselbe auch sachlich sich rechtfertigen läßt, und ob diese Bezeichnung nur ein philosophischer Schulausdruck ist oder auch in den göttlichen Schriften sich findet. Gut fügte es sich nun, daß uns bei der heutigen Evangeliumverlesung der Heilige Geist, als wollte er zum Schreiben mahnen, eine Stelle zu lesen gab, die uns nur bestärken mußte, daß auch wir von officium (Pflicht) sprechen können. Denn als der Priester Zacharias im Tempel stumm ward und nicht sprechen konnte, „da geschah es“, so heißt es, „sobald die Tage seines Pflichtdienstes (officium) abgelaufen waren, ging er hinweg in sein Haus“1. Auch wir können also nach dem verlesenen Texte von officium (Pflicht) sprechen.
26. Auch die wissenschaftliche Erwägung widerspricht dem nicht. Das Wort officium (Pflicht) kommt nämlich unseres Erachtens von efficere (verrichten), besagt also gleichsam ein efficium (Pflichtverrichtung) — des besseren Wortklanges wegen sagte man aber mit Veränderung eines Buchstabens officium — oder besagt doch ein Handeln, das niemand schadet (officiat), allen frommt2.
Luk. 1, 23. ↩
Vgl. Cic. l. c. 2, 7—3, 8. Wiewohl Cicero eine „Näherbestimmung des Pflichtbegriffes“, welche merkwürdigerweise von Panätius übergangen worden sei, in Aussicht stellt, übergeht er selbst die Begriffsbestimmung und leitet sofort auf die Einteilung der Pflichten über. Die obigen etymologischen Erklärungen des Wortes officium finden sich bei Cicero nicht. ↩
