XXXVI. Kapitel
Vom Starkmut: Der seelische Starkmut (179). Seine Norm entlehnten die Profanschriftsteller aus der Hl. Schrift (180). Wahre Tapferkeit bezwingt sich selbst (181). Die zwei Wirkungen des seelischen Starkmutes (182). Des hl. Paulus Mahnung und Beispiel für die Gläubigen im allgemeinen (183), für die Kirchendiener im besonderen (184). Folgerungen für den Streiter Gottes (185).
179. S. 97 [Abweichung der Zählung ggüber Migne Pl tom. 016 Ambr. 0339-0397 c. 75C: C. XXXV endet mit n. 178, und C. XXXVI beginnt mit n. 178′] Ruhmvolle Tapferkeit beruht nicht bloß in der Körperkraft und den Armmuskeln, sondern mehr noch in der Kraft der Seele1. Und das Gesetz für diese Kraft lautet: nicht Unrecht tun, sondern ihm wehren2. Denn wer nicht von seinem Mitmenschen Unrecht abwehrt, wenn er kann, ist ebenso schuldbar wie jener, der es begeht3. Daher machte der heilige Moses gerade damit den ersten Anfang, um sich für kriegerische Tapferkeit zu schulen. Als er nämlich einen Hebräer von seiten eines Ägypters Unrecht leiden sah, verteidigte er ihn in der Weise, daß er den Ägypter niederstreckte und im Sande verscharrte4. Ebenso mahnt Salomo: „Errette den, der zum Tode geführt wird!“5
180. Es liegt also hinlänglich zutage, woraus Tullius, oder auch Panätius, oder selbst Aristoteles diese Anschauung entlehnt haben. Übrigens hat auch Job, der älter als diese beiden ist, den Ausspruch getan: „Ich rettete den Armen aus der Hand des Mächtigen und half der Waisen, die keinen Beistand hatte. Der Segen des dem Untergang Geweihten komme über mich!“6 Ist das nicht ein tapferer Held, der so mutig die Angriffe des Feindes ertrug und mit der Kraft seines Geistes überwand? Kein Zweifel aber kann über die Tapferkeit dessen bestehen, den der Herr auffordert: „Gürte wie ein Mann deine Lenden, lege Hoheit und Kraft an! Jeden aber, der Unrecht tut, demütige!“7 Ebenso versichert der Apostel: „Ihr habt den tapferen Trost“8. Tapfer ist sonach, wer im Leiden welcher Art immer getrostes Mutes bleibt.
181. Und mit Recht fürwahr nennt man das Tapferkeit, wenn einer sich selbst besiegt, den Zorn bezwingt, durch keine Lockungen sich umstimmen und beugen läßt, im Unglück die Fassung nicht verliert, im Glück S. 98 nicht übermütig wird und im Wandel der mannigfach wechselnden Dinge nicht wie eine Windfahne hin- und herschwankt9. Was gibt es aber Erhabeneres und Großartigeres, als den Geist zu schulen, das Fleisch zu beherrschen und dienstbar zu machen, daß es seinem Befehle gehorcht, seinen Ratschlägen folgt, um unverdrossen, wenn es Kampf und Mühe zu bestehen gilt, das Vorhaben und den Willen der Seele auszuführen.
182. Das nun ist die erste Wirkung des Starkmutes. In zweifacher Art tritt nämlich der seelische Starkmut in die Erscheinung. Fürs erste soll er das Äußerliche am Leibe recht gering einschätzen und als etwas Überflüssiges lieber für verächtlich denn für begehrenswert erachten; fürs zweite die höchsten Güter und all das, worin man das Sittlichgute und jenes πρέπον [prepon] (Schickliche) erblickt, klar ins Auge fassen und solange anstreben, bis er es erreicht hat10. Was wäre denn so klar als die Notwendigkeit, deine Seele derart zu schulen, daß du die höchsten Güter weder in Reichtum, noch in Vergnügen, noch in Ehren setzest und nicht dein ganzes Streben darauf verschwendest? Bei solcher inneren Gesinnung wirst du notwendig jenes Sittlichgute und Schickliche vorziehen zu müssen glauben und dein Sinnen so darauf richten, daß du über alles, was da kommt und den Mut zu brechen pflegt, wie Vermögenseinbuße oder Ehrenverlust oder Anfeindung von seiten der Ungläubigen, erhaben bist, ohne es zu fühlen, und daß dich ferner selbst Lebensgefahren, die du für die Gerechtigkeit auf dich nimmst, nicht aus der Fassung bringen.
183. Das ist der wahre Starkmut, den Christi Streiter besitzt, der nicht gekrönt wird, wenn er nicht rechtmäßig gekämpft hat11. Oder dünkt dich das Gebot des Starkmutes für gering: „Die Drangsal wirkt Geduld, die Geduld Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung“?12 Sieh, wie viele Kämpfe — und eine Krone! S. 99 Dieses Gebot gibt nur einer, der in Christus Jesus befestigt war, dessen Fleisch keine Ruhe hatte. Bedrängnis von allen Seiten: außen Kämpfe, innen Ängste. Und obschon in Gefahren, in tausend Mühen, in Kerkerhaft, in Todesnöten schmachtend, ließ er den inneren Mut nicht sinken, sondern kämpfte, bis er über seine Schwächen Herr war13.
184. Betrachte nun, wie er jenen, die sich dem Kirchendienste weihen, die Pflicht der Geringschätzung der menschlichen Dinge einschärft! „Wenn ihr also mit Christus den Weltdingen abgestorben seid, was stellt ihr noch, als lebtet ihr von dieser Welt, die Satzungen auf: ‚berührt nicht, betastet nicht, kostet nicht!‘, Dinge, die doch alle schon durch den bloßen Gebrauch zur Vernichtung bestimmt sind?“14 Und im folgenden: „Wenn ihr nun mit Christus mitauferstanden seid, so suchet, was oben ist!“15 Und wiederum: „So ertötet denn eure Glieder, die der Erde angehören!“16 Und zwar gilt dies noch für alle Gläubigen. Dir aber, mein Sohn, rät er Verachtung des Reichtums, ebenso Meidung unwürdigen Altweiberklatsches an und läßt nur das zu, was dich zur Frömmigkeit schult; „denn leibliche Schulung ist zu nichts nütze, Frömmigkeit aber ist zu allem nützlich“17.
185. Frömmigkeit führe dich sonach in die Schule der Gerechtigkeit, der Enthaltsamkeit und Sanftmut ein, auf daß du das Treiben der Jugend fliehest, in der Gnade gefestigt und gewurzelt18, den guten Kampf des Glaubens auf dich nehmest19 und als Gottes Streiter nicht in weltliche Geschäfte dich verwickelst20. Denn wenn schon einem Krieger im Dienste des Kaisers kraft menschlicher Gesetze die Übernahme von Rechtshändeln, die Ausübung von Marktgeschäften, der Verkauf von Handelswaren verboten ist, wieviel mehr soll der Streiter im Glaubenskampf von jeder Ausübung eines S. 100 Handelsgeschäftes Abstand nehmen, zufrieden mit dem Ertrag eines Äckerchens, wenn er eines hat; mit dem Ertrag der Löhnung, wenn er keines hat! Ist doch ein guter Zeuge dafür jener, der versichert: „Ich war ein Jüngling und ward ein Greis und sah keinen Gerechten verlassen, noch seine Nachkommen um Brot betteln“21. Darin nämlich besteht die Ruhe und Mäßigung der Seele, daß sie sich weder von Gewinnsucht einnehmen, noch durch Furcht vor Armut ängstigen läßt.
Vgl. Cic. 23, 79. ↩
Der gleiche Grundsatz Cic. l. c. 19, 65. ↩
Vgl. Cic. l. c. 7, 23. ↩
Exod. 2, 11 f. ↩
Sprichw. 24, 11. ↩
Job 29, 12 f. ↩
Job 40, 2 f. ↩
Hebr. 6, 18. ↩
Vgl. Cic. l. c. 20, 67—69. ↩
Nach Cic. l. c. 20, 66. ↩
2 Tim. 2, 5. ↩
Röm. 5, 3 f. ↩
2 Kor. 11, 23 ff. ↩
Kol. 2, 20—22. ↩
Kol. 3, 1. ↩
Kol. 3, 5. ↩
1 Tim. 4, 7 f. ↩
Vgl. Eph. 3, 17. ↩
1 Tim. 6, 11 f. ↩
2 Tim. 2, 4. ↩
Ps. 36, 25 [Hebr. Ps. 37, 25]. ↩
