XLIV. Kapitel
Von der Mäßigkeit: Der Kirchendienst soll der Anlage und Neigung eines Kandidaten entsprechen (215—216). Die besonderen Schwierigkeiten, die sich dem Eintritt in diesen Beruf entgegenstellen (217—218).
215. Ein jeder soll seine natürliche Anlage kennen1 und sich dem widmen, was er als das Passende für sich erwählte2. Er soll daher zum voraus die Folgen überdenken. Er mag das Gute, das er an sich hat, erkennen, aber auch seiner Fehler sich bewußt sein und als unparteiischer Selbstrichter sich erweisen, um des Guten sich zu befleißigen, die Fehler abzulegen.
216. Der eine eignet sich mehr zum deutlichen Vorlesen, ein anderer singt die Psalmen schöner, ein dritter hat mehr Eifer für den Exorzismus über die vom bösen Geiste Heimgesuchten, wieder einen anderen hält man tauglicher für den Sakristeidienst. Auf dies alles soll der Priester sein Augenmerk richten und jedem den S. 114 Dienst zuweisen, für den er sich eignet. Denn die Handlung, zu der einen schon seine natürliche Anlage hinzieht, bezw. den Dienst, der für einen paßt, erfüllt man mit größerer Lust.
217. Macht dies aber in jedem Lebensstand Schwierigkeit, so die größte Schwierigkeit in unserem Berufswirken. Jeder möchte nämlich dem Lebensberuf seiner Eltern folgen3. So zieht es denn so manche, deren Eltern dem Militärdienst obliegen, zur militärischen Laufbahn, andere zu den verschiedenen sonstigen Berufstätigkeiten.
218. Im Kirchendienst hingegen dürfte man nichts seltener finden als einen, der dem Berufe des Vaters folgt4. Teils schreckt der schwere Dienst hiervon ab, teils fällt im schlüpfrigen Alter die Enthaltsamkeit schwerer, teils dünkt der heiteren Jugend diese Lebensart zu finster. Daher wendet man sich solchen Beschäftigungen zu, die mehr den Beifall finden. Die Mehrzahl zieht ja das Gegenwärtige dem Zukünftigen vor. Doch ihr Kämpfen gilt dem Gegenwärtigen, das unsrige dem Künftigen. Je erhabener eine Sache, desto größer die Sorgfalt, mit der man auf sie bedacht sein soll.
Vgl. Cic. l. c. 30, 107—114 über die Selbsterkenntnis der einem jeden eigentümlichen Beanlagung, die neben der allgemein menschlichen zu berücksichtigen sei. ↩
Über die richtige Berufswahl Cic. l. c. 32, 115—121. ↩
Auch Cic. l. c. 32, 118 hebt das als das Gewöhnlichere hervor, bemerkt aber, daß andere in der Berufswahl „von einem herrschenden Vorurteile sich bestimmen lassen“, „manche auch auf gut Glück hin, oder einer natürlichen Tüchtigkeit folgend ohne elterliche Führung den rechten Lebensweg einschlagen.“ ↩
Der Zusammenhang legt die Übersetzung von institutum mit Beruf und damit den Gedanken an den leiblichen Vater nahe, der ein (niederes) Kirchenamt bekleidet und seinen Sohn zu seinem Berufsnachfolger wünscht. Institutum in der Bedeutung von Anweisung (Einweisung) würde mehr auf den geistlichen Vater (Priester) hindeuten, der einen Kandidaten zum Eintritt in den Kirchendienst heranbildet. ↩
