XLI. Kapitel
Vom Starkmut: Der Triumph der Tapferkeit im Leiden und Martyrium. Vorbilder hierin Judas der Makkabäer (200), dessen Bruder Jonathas (201), die sieben makkabäischen Brüder (202) und deren Mutter (203), die Unschuldigen Kinder, die hl. Agnes (204), der Diakon Laurentius und dessen Bischof Xystus (205—207).
200. Weil aber die Tapferkeit nicht bloß im Glück, sondern auch im Unglück sich bewährt, so laßt uns den Tod Judas’ des Makkabäers betrachten! Derselbe fing nämlich nach der Besiegung Nikanors, des Feldherrn des Königs Demetrius, in allzu sicherem Gefühle sich wiegend, mit neunhundert Mann gegen zwanzigtausend des königlichen Heeres Krieg an. Da die ersteren weichen wollten, um nicht von der Überzahl erdrückt zu werden, riet er ihnen lieber zu einem ruhmvollen Tod als zu einer schimpflichen Flucht: „Hinterlassen wir“, mahnte er, „an unserer Ehre keinen Schandfleck!“1 So S. 108 lieferte er denn die Schlacht. Und da der Kampf bereits vom frühen Morgen bis zum Abend dauerte, griff er den rechten Flügel an, wo er die Hauptmacht des Feindes gewahrte, und bog ihn leicht zurück. Aber bei der Verfolgung des fliehenden Feindes setzte er sich im Rücken der Verwundung aus. So fand er die Todeswunde, herrlicher denn Triumphe2.
201. Was soll ich dazu dessen Bruder Jonathas erwähnen, der mit einer kleinen Mannschaft wider des Königs Heere kämpfte und, von den Seinigen verlassen und nur mit zweien zurückbleibend, den Kampf erneute, den Feind schlug, die Seinigen aus der Flucht zurückrief, um sie am herrlichen Sieg teilnehmen zu lassen?3
202. Da hast du die Tapferkeit im Kriege, die nicht wenig Ehrenhaftes und Schickliches an sich hat, insofern sie den Tod der Knechtschaft und Schande vorzieht. Was soll ich aber erst von den Leiden der Märtyrer sagen? Und um nicht zu weit abzuschweifen: haben etwa die makkabäischen Jünglinge über den übermütigen König Antiochus einen geringeren Sieg davongetragen als deren Väter?4 Siegten doch diese mit Waffengewalt, diese ohne Waffen. Unbesieglich stand die Schar der sieben Jünglinge, umringt von des Königs Legionen. Die Qualen versagten, die Quäler ermüdeten, die Märtyrer nicht. Dem einen ward die Kopfhaut abgezogen: das Aussehen hatte er geändert, die Tugendkraft gesteigert. Einem anderen befahl man, die Zunge hervorzustrecken, um sie abzuschneiden, und er antwortete5: Der Herr hört nicht allein die Sprechenden, er hörte auch den schweigenden Moses6. Er hört besser die stillen Gedanken der Seinigen als das laute Rufen aller. Der Zunge Geißel fürchtest du, die Geißel des Blutes fürchtest du nicht? Auch das Blut S. 109 hat seine Stimme, mit der es zu Gott schreit, wie es bei Abel geschrien hat7.
203. Was soll ich von der Mutter sagen, die freudig in ihren Söhnen ebensoviele Siegestrophäen als Leichen schaute und an den Worten der Sterbenden wie an Sangestönen sich ergötzte, indem sie in den Söhnen der Mutter lieblichste Harfe und des Frommsinns Harmonie erblickte, süßer denn jede Melodie, die der Leier entströmt?8
204. Was soll ich von den kleinen Zweijährigen sagen, die noch vor dem natürlichen Vernunftgebrauch in den Besitz der Siegespalme gelangten?9 Was von der heiligen Agnes, die an den zwei höchsten Gütern, der Keuschheit und dem Leben, Gefahr lief? Die Keuschheit hütete sie, das Leben tauschte sie mit der Unsterblichkeit ein.
205. Auch den heiligen Laurentius wollen wir nicht übergehen. Als er seinen Bischof Xystus zum Martyrium geführt werden sah, fing er zu weinen an, nicht über dessen Leidenstod, sondern weil er selbst zurückbleiben mußte. Er begann daher mit folgenden Worten ihn anzureden: Wohin gehst du, Vater, ohne den Sohn? Wohin eilst du, heiliger Priester, ohne deinen Diakon? Nie pflegtest du das Opfer ohne den Diener darzubringen. Was also mißfiel dir, Vater, an mir? Hast du mich deiner unwürdig befunden? Prüfe doch, ob du einen tauglichen Diener erwählt hast! Ihm hast du das konsekrierte Blut des Herrn, ihm die Teilnahme am Vollzuge der Geheimnisse anvertraut: ihm willst du die Teilnahme an deinem Blute verweigern? Sieh zu, daß dein Urteil nicht wanke, während dein Starkmut Lob verdient! Die Abweisung des Schülers ginge zu Schaden des Lehrers. Wie? Siegen denn nicht berühmte und hervorragende Männer ebenso durch die S. 110 Kampfestaten ihrer Schüler wie durch die eigenen? So brachte Abraham seinen Sohn zum Opfer dar; so ließ Petrus den Stephanus vorausgehen10. Auch du, Vater, zeige deine Tugend in deinem Sohne! Opfere ihn, den du herangezogen hast, und sei deiner Überzeugung sicher: du wirst unter würdiger Begleitung zur Krone gelangen!
206. Da antwortete Xystus: Nein, ich lasse dich nicht zurück, mein Sohn, und verlasse dich nicht. Noch größere Kämpfe gebühren dir. Ich als Greis trete den Waffengang zu einem leichteren Kampf an; deiner als Jüngling harrt ein herrlicherer Triumph über den Tyrannen. Bald wirst du kommen: höre auf zu weinen! Nach drei Tagen wirst du mir folgen. Diese Zahl (der Tage) dazwischen geziemt dem Priester und Leviten. Es wäre deiner nicht würdig gewesen, an der Seite des Lehrers zu siegen, als hättest du eines Helfers bedurft. Was begehrst du nach der bloßen Teilnahme an meinem Leidenstode? Sein ganzes Erbe hinterlasse ich dir. Was verlangst du nach meiner Gegenwart? Schwache Schüler mögen dem Lehrer vorausgehen, starke folgen ihm, um ohne den Lehrer zu siegen, nachdem sie der Belehrung nicht mehr bedürfen. So ließ auch Elias den Elisäus zurück. Auf dich übertrage ich denn die Nachfolge meiner Mannestugend.
207. Das war der Streit, fürwahr ein würdiger Streit, den Priester und Diener um den Vorrang führten, wer zuerst für Christi Namen leiden dürfe11. In der Trauerspieldichtung löste es, wie man erzählt, bei den Zuschauern großen Beifall aus, da Pylades sich für den Orestes ausgab, Orestes hingegen, wie es der Fall war, beteuerte, er sei Orestes: ersterer, um sich für Orestes töten zu lassen; Orestes, um nicht zu dulden, daß Pylades sich für ihn dem Tode weihe. Doch diese hatten ihr Leben verwirkt, weil beide des Muttermordes schuldig waren, der eine als Täter, der andere als Helfer. In unserem Fall drängte nichts den heiligen S. 111 Laurentius hierzu als hingebende Liebe. Auch er jedoch spottete nach drei Tagen des Tyrannen und sprach, als er auf dem Roste liegend verbrannt wurde: Der Braten ist fertig, wende ihn und iß! So besiegte er durch den Starkmut der Seele die Natur des Feuers.
