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Unwahr aber ist, was die Manichäer töricht behaupten (416,16), dass du zu einem fremden Gott abgeirrt seiest, der dir einen vollen Bauch und das Land der Kanaaniter verheissen habe (cf. Deut. 8,7 ff.). Du erkennst ja gerade in jenen Verheissungen, dass die Sehergabe der Heiligen dich schon damals modellhaft und prophetisch gezeugt hat. Erreg dich auch nicht über die in erbärmlicher Witzelei vorgetragene Kritik an jener steinernen Doppeltafel (416,16; cf. Exod. 34,1)! Denn du hast ja kein steinernes Herz, was jene Tafeln im früheren Volk versinnbildlichten. Du bist nämlich das Empfehlungsschreiben der Apostel, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinernen Tafeln, sondern auf den fleischlichen Tafeln des Herzen (II Kor. 3,3). Auf diese Worte hin brechen jene eitlen Schwätzer in Jubel aus, denn sie glauben, der Apostel habe damit den Heilsplan des Alten Testaments, der doch jener Zeit angemessen war, tadeln wollen, und sie erkennen nicht, dass er dabei den Worten des Propheten gefolgt ist (cf. Jer. 31,33; Ez. 11,19; 36,26). Denn diese Worte, die sie so einfältig zu ihren Gunsten auslegen, sind ja lange Zeit, bevor sie durch den Apostel ausgesprochen wurden und in Erfüllung gingen, von den durch die Manichäer so abgelehnten Propheten angekündigt worden. Der Prophet hatte nämlich folgendes gesagt (Ez. 11,19): Ich werde ihnen das Herz aus Stein wegnehmen und ihnen ein Herz aus Fleisch geben. Mögen sie überlegen, ob der Satz (II Kor. 3,3): Nicht auf steinernen Tafeln, sondern auf den fleischlichen Tafeln des Herzens, nicht genau dasselbe ausdrückt! Denn weder die Wendung ein Herz aus Fleisch beim Propheten, noch jene der fleischlichen Tafeln beim Apostel wollen uns nahe legen, fleischlich zu denken; vielmehr versinnbildlicht in diesem Vergleich zwischen dem empfindungslosen Stein und dem Fleisch, das empfindet, die Unempfindlichkeit des Steins das Herz, das keine Einsicht besitzt, die Empfindlichkeit des Fleisches dagegen versinnbildlicht das Herz, das Einsicht besitzt. Du hast mehr Grund, dich über die Manichäer lustig zu machen (421,10), die behaupten, dass Erde, Gehölze und Steine Empfindung besitzen und ein erkenntnisfähiges Leben führen, die fleischlichen Wesen dagegen dumpf und stumpfsinnig dahinleben. Das hat nun aber zur Folge, dass sie – nicht durch die Wahrheit, sondern durch ihre eigene Lügengeschichte gezwungen, zugeben müssen, dass das Gesetz, welches auf steinernen Tafeln steht, auf edlerem Material geschrieben ist als ihr Schatz auf den Häuten toter Tiere. Oder ziehen sie vielleicht deshalb so entschieden Leder aus Lammfell den Steintafeln vor, weil die Steine laut der Fabelgeschichte, die sie erzählen, Knochen ihrer Fürsten sind? Kein Wunder also, dass die steinernen Tafeln mit jener Bundeslade aus dem Testament eine edlere Hülle besassen als euer Kodex mit seiner Ziegenhaut. Über all das solltest du aus Mitleid deinen Spott ausgiessen, um sie dazu zu bringen, selber darüber zu lachen und davon abzurücken! In jener steinernen Doppeltafel aber erkennst du, nachdem du nicht mehr ein Herz aus Stein besitzest, was jenem harten Volk angemessen war, zugleich aber siehst du darin auch den Felsen, deinen Bräutigam, ihn, den Petrus (I Petr. 2,4) als den lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen, von Gott aber auserwählt und geehrt wurde bezeichnet. Für jene war er also ein Stein des Anstosses und ein Fels, an dem sie zu Fall kamen (cf. Ib. 2,8), für dich aber ist der Stein, den die Bauleute verwarfen, zum Eckstein geworden(ib. 2,7). All dies führt der Apostel Petrus aus, und er erinnert daran, dass all dies durch die Propheten vorausgesagt wurde, von denen ja die Manichäer, die durch sie verurteilt wurden (cf. Jer. 17,11 ff.), nichts wissen wollen. So lies denn getrost auch jene Doppeltafel; hab keine Angst, denn sie stammt ohne Zweifel von deinem Bräutigam! Für andere versinnbildlichte jener Stein unbeugsame Sturheit, für dich aber unerschütterliche Festigkeit. Jene Tafeln sind mit dem Finger Gottes geschrieben (cf. Exod. 31,18); mit dem Finger Gottes vertrieb dein Bräutigam die Dämonen (cf. Lk. 11,20); mit dem Finger Gottes verjage du die Lehren der Dämonen, die Lügen erzählen und das Gewissen mit einem Brandmal versehen (cf. I Tim. 4,1)! Mithilfe dieser Doppeltafel vermagst du den buhlenden Liebhaber abzuweisen, der sich Paraklet nennt, um dich mit diesem heiligen Namen zu verführen. Denn 50 Tage nach Pascha wurden jene Tafeln übergeben (cf. Exod. 20); und 50 Tage nach dem Leiden deines Bräutigams, das durch jenes Pascha modellhaft vorgebildet war, wurde der Finger Gottes, der Heilige Geist, der versprochene Paraklet (cf. Apg. 2,1 ff.) übergeben. Fürchte dich also nicht vor dieser Doppeltafel, auf der dir vor langer Zeit Aufgeschriebenes übermittelt wurde, damit du heute seinen Sinn erkennest! Eines nur tue nicht: unterwirf dich nicht dem Gesetz, aus Angst, du könntest es nicht in allem erfüllen; unterwirf dich vielmehr der Gnade, damit in dir die Erfüllung des Gesetzes, die Liebe, sei (cf. Rm. 13,10)! Nichts anderes als diese Doppeltafel ging der Freund deines Bräutigams durch, als er sagte (Rm. 13,9 f.): Denn die Gebote (cf. Exod. 20,13 ff.): ‛Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht morden, du sollst nicht begehren’ und alle andern Gebote sind in diesem einen Satz zusammengefasst (lev. 19,18): ‛Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst’. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Also ist die Erfüllung des Gesetzes die Liebe. Hier sind nämlich jene zwei Gebote, die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten, auf je einer Tafel dargelegt. Diese Doppeltafel hat also jener vorausgesandt, der dir dann bei seinem Kommen die zwei Gebote, an denen das ganze Gesetz und die Propheten hängen (cf. Mt. 22,40), ans Herz legte: Im ersten Gebot ist die Reinheit deines Ehebunds mit Christus, im zweiten die Einheit deiner Glieder enthalten; mit jenem Gebot umfängst du die Gottheit, mit diesem vereinigst du die Gemeinschaft der Menschen. Diese zwei Gebote wiederum enthalten die zehn Gebote: drei davon beziehen sich auf Gott, sieben auf den Nächsten. O jungfräulich reine Doppeltafel, in der dein Liebhaber und Geliebter dir nach jenem alten Modellbild (cf. Ps. 91,4; 143,9) ein neues Lied zur zehnsaitigen Laute ankündigte, dass er seine Sehnen wie Saiten am Kreuz spannen wird, um von der ‛Sünde’ aus am Fleisch die Sünde zu verurteilen, und damit die Gerechtigkeit des Gesetzes in dir erfüllt werde (cf. Rm. 8,3 f.). O ehelich reine Doppeltafel, die aus gutem Grund von der Ehebrecherin gehasst wird!
