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Faustus sagte: Warum anerkennt ihr das Alte Testament nicht? Auch ein volles Gefäss nimmt ja nicht auf, was ihm zugegossen wird, sondern lässt es abfliessen, und ein gesättigter Magen erbricht, wenn man ihn weiter füttert. Daher schlugen die Juden das Neue Testament aus, weil Moses zuvorgekommen war, und sie mit dem Alten Testament gesättigt hatte, wir dagegen schlagen das Alte Testament aus, weil Christus zuvorgekommen ist, sodass wir vom Neuen Testament erfüllt sind. Ihr aber nehmt beide an, da ihr von keinem der beiden vollständig, von beiden aber zur Hälfte erfüllt seid, wobei sie sich in euch nicht ergänzen, sondern gegenseitig verderben; auch ein halbgefülltes Gefäss wird ja nicht mit völlig andersartigem, sondern mit gleichem oder ähnlichem Inhalt aufgefüllt, z.B. ein Weinkrug mit Wein, ein Honigtopf mit Honig, ein Essigkrug mit Essig; wenn man diesen Lebensmitteln etwas völlig Verschiedenes und Andersartiges zugeben würde, z.B. dem Honig Galle, dem Wein Wasser oder dem Essig Fischbrühe, wird man das nicht als Auffüllen bezeichnen, sondern als Panscherei. Dies also ist der Grund, warum uns die Anerkennung des Alten Testaments schwerfällt. Und da ja unsere Kirche, die Braut Christi – eine Braut aus recht bescheidenen Verhältnissen, die aber eine gute Partie gemacht hat – mit den Reichtümern ihres Ehemanns zufrieden ist, weist sie die Hilfe von weniger ansehnlichen Liebhabern zurück, die Geschenke des Alten Testaments und seines Verfassers erscheinen ihr kläglich, und als stets aufmerksame Hüterin ihres guten Rufes nimmt sie Schriftliches nur von ihrem eigenen Ehemann in Empfang. Eure Kirche dagegen soll ruhig das Alte Testament für sich beanspruchen, sie freut sich ja wie ein frivoles junges Mädchen, ohne Sinn für Anstand und Sitte, an den Geschenken und Schriften eines fremden Mannes. Schliesslich vespricht euch ja euer Liebhaber und Sittenverderber, der Gott der Hebräer, in seinem steinernen Doppeltäfelchen Gold und Silber, einen vollen Bauch und das Land Kanaan (cf. 310,10; deut. 8,7 ff.). Solch schnöde Vorteile haben es euch angetan, sodass ihr auch nach dem Kommen Christi ganz gern in der Sünde verbleibt und ihm für seine unermesslichen Brautgeschenke keinen Dank erweist. Diese Dinge also machen euch ganz lüstern, sodass ihr nach der Hochzeit mit Christus unsterblich in den Gott der Hebräer verliebt seid. Nehmt endlich zur Kenntnis, dass auch ihr von seinen falschen Versprechungen getäuscht und hintergangen werdet! Armselig ist er, bedürftig ist er, nicht einmal das, was er verspricht, vermag er einzuhalten. Denn wenn er nicht einmal seiner eigenen Braut, nämlich der Synagoge, etwas von dem, was er verheisst, zukommen lässt, die ihm doch in allem willfährig ist und ihm unterwürfiger als eine Sklavin dient, was wird er dann für euch tun können, die ihr ihm doch fremd seid und euren stolzen Nacken dem Joch seiner Gebote verweigert (cf. Jer. 27,8; Mt. 11,29; Gal. 5,1)? Doch macht halt weiter so, wie ihr begonnen habt, setzt den frischen Stofflappen im alten Gewand ein (cf. Mt. 9,16) vertraut den neuen Wein den altersschwachen Schläuchen an (ib. 17), dient zwei Ehemännern, um keinem von beiden zu gefallen und macht schliesslich den christlichen Glauben zum Hippokentauren, der weder richtig Pferd noch Mensch ist! Uns aber erlaubt, einzig Christus zu dienen, uns zufrieden zu geben mit seinem unvergänglichen Brautgeschenk, und dem Apostel zu folgen, der sagt (II Kor. 3,5 f.): Unsere Befähigung stammt von Gott, der uns fähig gemacht hat, Diener des Neuen Bundes zu sein. Die Haltung des Hebräergottes aber steht geradezu im Gegensatz zur unsrigen, da jener seine Versprechungen nicht erfüllen kann, wir dagegen uns schämen würden, sie anzunehmen. Die Freigebigkeit Christi hat uns wählerisch gemacht gegenüber den verlockenden Angeboten dieses Gottes. Damit du aber nicht denkst, dass ich da Unpassendes miteinander verglichen habe, wisse, dass Paulus schon früher diesen Vergleich zwischen der Eheordnung und unserer Glaubenssituation angestellt hat. Er sagte da (Rm. 7,2 f.): Die verheiratete Frau untersteht dem Gesetz des Ehemannes, solange dieser am Leben ist; wenn ihr Mann dann aber stirbt, ist sie vom Gesetz des Ehemannes frei. Wenn sie sich also zu Lebzeiten ihres Ehemannes mit einem andern Mann einlässt, wird man sie, wie Paulus das formuliert, als Ehebrecherin bezeichnen; nachdem dann aber ihr Ehemann gestorben ist, wird sie nicht mehr Ehebrecherin sein, wenn sie sich mit einem andern Mann zusammentut. Damit drückte er aus, dass jemand geistigen Ehebruch treibt, der sich nicht zuerst vom Urheber des Gesetzes lossagt und ihn gleichsam bei den Toten begräbt (cf. Mt. 8,22; Lk. 9,60), bevor er sich mit Christus vereinigt. Diese Aussage zielt vor allem auf jene, die vom Judentum her zum Glauben gelangten, natürlich um sie aufzufordern, ihren früheren Aberglauben zu vergessen. Wir dagegen haben dazu sicher keine Vorschrift nötig, denn für uns, die wir uns aus dem Heidentum zu Christus bekehrt haben, ist der Gott der Hebräer ja nicht gestorben, sondern überhaupt nie geboren. So muss also dem Juden, wenn er christusgläubig wird, Adonai für tot gelten, dem Heiden sein Götzenbild, und einem jeden das, was er verehrt hat, bevor er Christus kennenlernte. Denn wenn jemand nach seinem Bruch mit dem Götzenkult gleichzeitig den Gott der Hebräer und Christus verehrt, dann unterscheidet er sich in nichts von jener Frau mit dem abgestumpften Schamgefühl, die nach dem Tod ihres Gatten sich gleich mit zwei andern verbindet.
