6.
Somit bist du überführt, dass du unzählige Götter verehrst, da du die gesunde Lehre nicht erträgst, nach welcher der eine Sohn vom einen Gott geboren wurde, und aus diesen beiden der Heilige Geist hervorging. Bei ihnen darf man aber nicht von unzähligen, nicht einmal von drei Göttern sprechen; sie besitzen nämlich nicht nur ein und dieselbe Substanz, sondern auch ein und dasselbe Wirken, das in dieser einen und selben, ihnen eigentümlichen Substanz gründet, das sich aber anhand der körperlichen Schöpfung auf je eigene Weise manifestiert. Das verstehst du nicht, du begreifst es nicht! Ich weiss: du quillst über, du hast dich vollgetrunken und vollgefressen mit dieser Abgötterei aus der Fabelwelt! Scheide endlich aus, was du ständig ausdünstest, und lass dich nicht weiter von solchen Dingen zuschütten! Inzwischen sing halt deinen Gesang und beschau dir dabei, wenn du es erträgst, dein schändliches Hurenleben: Die Lehre der lügenredenden Dämonen lud dich also ein in die imaginären Paläste der Engel, wo ein wohltuender Lufthauch weht, und zu den Feldern, die erfüllt sind vom Duft der Gewürze, deren Bäume und Hügel, Meere und Flüsse süssen Nektar strömen lassen durch alle Zeiten. Und du hast es geglaubt und in deinem Herzen ausgesponnen, um dann weitschweifig und zügellos in wertlosen Erinnerungen zu schwelgen. Nun ist das natürlich, wenn man etwa vom unaussprechlichen Strom geistiger Freuden spricht, in der Rätselsprache der Allegorie gesprochen (cf. I Kor. 13,12), sodass ein Geist, der sich in dieser Ausdrucksweise auskennt, weiss, dass dahinter etwas anderes liegt, das es zu suchen und zu deuten gilt, sei es, dass etwas für unser körperliches Wahrnehmungsvermögen in körperlicher Wirklichkeit dargestellt wird, etwa die Flamme im Dornbusch (cf. Exod. 3,2), oder die Schlange, in die sich der Stab verwandelt (cf. Exod. 4,2 f.), oder die Tunika des Herrn, die von seinen Verfolgern nicht zerteilt wird (cf. Joh. 19,24), oder die Salbung der Füsse Jesu (cf. Joh. 12,3) oder seines Hauptes (cf. Mt. 26,7) durch den Liebesdienst einer Frau, oder die Zweige, welche von der Menge, die seinem Esel vorausging oder folgte, ausgestreut wurden (cf. Mt. 21,7 ff.), sei es, dass es sich mittels körperlicher Bilder modellhaft in unserem Geist offenbart – etwa im Traum oder in der Entrückung –: so erscheint dem Jakob eine Leiter (cf. Gen. 28,12), dem Daniel ein Stein, der sich ohne menschliche Einwirkung vom Fels löst und zu einem Berg anwächst (cf. Dan. 2,34 f.), dem Petrus jene Schale (cf. Apg. 10,11) und dem Johannes eine ganze Reihe von Dingen (cf. Apoc. 1), sei es schliesslich, dass dieser Modellbildcharakter allein durch die sprachliche Form erkennbar ist, etwa beim Hohelied (cf. Cant. 1) oder in jenen Szenen im Evangelium, wo ein Familienvater für seinen Sohn die Hochzeit vorbereitet (cf. Mt. 22,2 ff.), oder wo ein Mann zwei Söhne hatte, einen sparsamen und einen verschwenderischen (cf. Lk. 15,11 ff.), oder wo ein Mann seinen Weinberg neu anlegte und ihn an Bauern verpachtete (cf. Mt. 21,33 ff.). Du aber rühmst nun Mani gerade dafür, dass er, nicht um solche Rätselworte zu formulieren, sondern um sie aufzuklären, als letzter gekommen ist, dass er also jene Modellbilder der Alten entschlüsselte und seine eigenen Darstellungen und Abhandlungen in völliger Klarheit präsentierte, ohne sich hinter einer Rätselsprache zu verbergen. Und als Grund für diese gewagte Aussage fügst du gleich hinzu, dass die Alten ja wussten, wenn sie in Form solcher Modellbilder Visionen hatten, handelten oder redeten, dass Mani kommen werde, durch den all dies enthüllt würde, er dagegen im Wissen, dass nach ihm keiner mehr kommen wird, seine eigenen Aussagen in keinerlei allegorische Zweideutigkeiten einkleiden durfte. Was fängt nun also deine Seele, die vom Schmutz fleischlicher Begierden starrt, mit jenen Feldern und schattenreichen Anhöhen, mit jenen Blütenkränzen und allgegenwärtigen Düften an (426,10)? Wenn das nicht allegorische Rätselworte sind, welche vernünftigem Denken entspringen, dann sind es Geschöpfe der Phantasie oder Ausgeburten des Wahnsinns; wenn sie euch aber doch als allegorische Rätselworte gelten, warum entfliehst du dann nicht diesem Heiratsschwindler, der die unverhüllte Wahrheit verspricht, um die Opfer anzulocken, und sie nachher, wenn er sie angelockt hat, mit seinen Lügengeschichten aus der Fabelwelt zum besten hält? Pflegen nicht seine Gehilfen, die selber auch durch solche Albernheiten vergiftet sind, an ihren Angelhaken den Köder zu hängen, den sie den Worten des Apostels Paulus entnehmen (I Kor. 13,9 f.): Denn Stückwerk ist unser Erkennen und Stückwerk ist unser prophetisches Reden; wenn aber kommen wird, was vollendet ist, wird alles Stückwerk vergehen, welcher dann fortfährt (ib. 12): Noch schauen wir nur durch einen Spiegel und in Rätselform, dann aber von Angesicht zu Angesicht? Das heisst natürlich für sie, dass die Erkenntnis des Apostels Paulus nur Stückwerk war und auch seine Sehergabe nur Stückwerk war, weil er wie durch einen Spiegel und in Rätselform schaute, dass dann aber das ganze Stückwerk vergehen muss, wenn Mani kommt und bringt, was vollendet ist, wo dann also die Wahrheit von Angesicht zu Angesicht sichtbar wird. Du anmassende sittenlose Bande, ohne dich zu schämen plapperst du weiter solche Dinge daher, fütterst weiter die Winde damit, pflegst weiter die Götzen deines Herzens! Von Angesicht zu Angesicht hast du also den König, der die oberste Herrschaft ausübt, geschaut, zeptertragend und blütenumkränzt, samt den Heerscharen von Göttern (425,4-23) und den grossen ‛Halter der Lichter’, der sechs Gesichter und Münder besitzt und in hellem Licht erstrahlt (424,5), ebenso den ‛König der Ehren’, der von den Engelsheeren umgeben ist, ebenso den ‘Adamas’, den streitbaren Helden, der in seiner Rechten den Speer, in seiner Linken den Schild hält, ebenso den ‘glorreichen König’, der die drei Räder für das Feuer, das Wasser und den Wind antreibt, schliesslich den gewaltigen Atlas, der die Welt auf seinen Schultern trägt und sie, ein Knie angestemmt, beidseitig mit den Armen stützt (424,7)? Diese und tausend andere Wunderwesen hast du von Angesicht zu Angesicht geschaut, oder ist das etwa die Lehre der lügenredenden Dämonen (cf. I Tim. 4,1), die dir durch den Mund von Lügnern vorgegaukelt wird, ohne dass du es merkst? Weh dir, du Unglückselige! Da siehst du, mit was für Wahnbildern du geschwängert wirst, da siehst du, welche Nichtigkeiten du gierig als Wahrheit aufleckst! Und betrunken von diesem Schlangengebräu erfrechst du dich, das ehefrauliche Feingefühl der Gattin des einzigen Sohnes Gottes wegen dieser steinernen Doppeltafel zu verhöhnen, weil sie, schon nicht mehr der Zuchtrute des Gesetzes, sondern dem Lehramt der Gnade unterstellt, und nicht mehr stolz auf die Werke und von Schrecknissen niedergedrückt, aus dem Glauben, der Hoffnung und der Liebe heraus lebt, nachdem sie Israel geworden ist, in dem keine Falschheit ist (cf. Joh. 1,47), und darauf hört, was dort geschrieben ist (deut. 6,4): Der Herr, dein Gott, ist der einzige Gott, worauf du selber nicht hörst und deshalb deine Liebschaften auf so viele imaginäre Götter verteilt hast.
