2.
Sicherlich ist unser sehnliches Verlangen keine Anmaßung, wenn das, was wir fordern, Gott besonders wohlgefällig ist. Wenn unsere Absicht mit der ganzen Hl. Schrift zusammentrifft, dann dürfte es keine Vermessenheit unsererseits sein, Dich zu einem Schritt aufzumuntern, zu dem Du uns so oft geraten hast. Das erste Wort, das Gott zu Abraham sprach, lautete: „Ziehe fort aus deinem Lande und von deiner Verwandtschaft, und gehe in das Land, das ich dir zeigen werde.“ 1 Der Patriarch, dem als erster Christus verheißen wird, erhält den Befehl, Chaldäa, die Stadt der Verwirrung, 2 und Roboth, d.h. ihren Umkreis, 3 zu verlassen, sich zu trennen von der Ebene Sinear, wo der Turm der Hoffart, der zum Himmel reichen sollte, 4 errichtet wurde. Nachdem er sich S. 296 freigemacht hatte von dem Weltgetriebe, von den Flüssen, an deren Ufern die frommen Israeliten saßen und weinten, als sie Sions gedachten, 5 sobald er dem gefährlichen Strudel des Flusses Chobar 6 entronnen war, von wo Ezechiel an einem Haar seines Scheitels in die Höhe gehoben und nach Jerusalem versetzt wurde, 7 sollte er sich im Lande der Verheißung niederlassen, das vom Himmel her und nicht wie Ägypten von unten bewässert wird, 8 das nicht Gemüse, die Speise der Schwachen, hervorbringt, 9 sondern von oben her den Früh- und Spätregen erwartet. 10 Dieses Land ist bergig und hochgelegen. 11 Je mehr es sich fernhält von den Freuden der Welt, desto erquickender sind die geistigen Genüsse, die es bietet. 12 Auch Maria, die Mutter des Herrn, verließ die Niederung und eilte ins Gebirge, als sie die Verkündigung des Engels erhalten und erfahren hatte, daß ihr Schoß die Wohnung des Gottessohnes sein werde. 13 Aus dieser heiligen Stadt bewegte sich der Zug der jubelnden Schar, welche unseres David Sieg über die zehntausend Feinde besang, nachdem er zuvor den fremden Feind überwunden und des Teufels Übermut durch einen Steinwurf gegen die Stirn zunichte gemacht hatte, so daß dieser auf sein Angesicht fiel. 14 Der Engel, der das Schwert in der Hand hielt und das ganze gottlose Land der Vernichtung preisgab, bezeichnete in dieser Stadt die Tenne Ornas, des Königs der Jebusiter, als die Stelle, an der der Tempel des Herrn zu errichten sei. 15 Damit wollte er damals schon andeuten, daß die Kirche Christi sich nicht in Israel, sondern auf heidnischem Boden erheben würde. Schlage die Genesis auf, und Du S. 297 wirst finden, daß Melchisedech, der König von Salem, der Beherrscher dieser Stadt war. 16 Schon damals hat er als Vorbild Christi Brot und Wein geopfert und das christliche Geheimnis im Blute und Fleische des Erlösers im voraus geheiligt.
Gen. 12, 1. ↩
Ebd. 11, 9. ↩
Ebd. 36, 37; 1 Chron. 1, 48. An diesen beiden Stellen wird die Stadt רְחֹבוֹת חַנָּהַר erwähnt, also eine Stadt am Euphrat ( הַנָּהַר wird im Alten Testament wiederholt für Euphrat gebraucht). Hieronymus leitet den Eigennamen ab vom Stamme רָחַב „sich weiten, breiter werden“, daher „latitudines eius“. ↩
Gen. 11, 2. 4. ↩
Ps. 136, 1. ↩
Ezech. 1, 1 u. ö. ↩
Ebd. 8, 3. ↩
Deut. 11, 10. ↩
Num. 11, 5; Röm. 14, 2. ↩
Jer. 5, 24; Jak. 5, 7. ↩
Deut. 11, 11. ↩
Unter dem Bilde des verheißenen Landes Kanaan weisen die Schreiberinnen auf das geistige Reich hin, in dem sich die Seele heimisch findet, die der Welt und ihren Freuden entsagt. ↩
Luk. 1, 31 f., 39 ↩
1 Kön. 17, 49; 18, 6 f. ↩
1 Chron. 21, 15 ff. ↩
Gen. 14, 18. In einem späteren Brief bestreitet Hieronymus die Identität Jerusalems mit der Residenz Melchisedechs (ep. 73, 7 ad Evangelum). ↩
