7.
Diesen beiden, Salvina, sollst Du Erzieherin sein, sie sollen Dir den fehlenden Gatten vergegenwärtigen. „Siehe, sie haben als Erbschaft Kinder vom Herrn, Leibesfrucht ist ihr Lohn.“ 1 Für den einen Gatten hast Du zwei Kinder erhalten, so daß Deine Liebe jetzt doppelte Betätigung findet. Was Du dem Gatten schuldig warst, das schenke jetzt den Kindern! Die Anhänglichkeit an die Lebenden wird die Sehnsucht nach dem abwesenden Gatten lindern. Es ist fürwahr ein verdienstliches Werk vor Gott, Kinder gut zu erziehen. Vernimm die Mahnung des Apostels: „Als Witwe werde nur eine Frau gewählt, die nicht unter sechzig Jahren zählt, die nur eines Mannes Frau war. Sie muß sich im Guten bewährt haben, indem sie Kinder großzog, Gastfreundschaft übte, den Glaubensgenossen die Füße wusch, den Notleidenden reichlich spendete, mit einem Worte, sie muß jedes gute Werk geübt haben.“ 2 Das also ist das Verzeichnis der Tugenden, welche Da zu üben hast, die Du Deinem Namen schuldig bist, deren Praxis Dir das Anrecht auf den zweiten Grad der Jungfräulichkeit 3 S. 323 sichert. Laß Dich nicht dadurch stören, daß der Apostel zur Aufnahme in den Stand der Witwen ein Alter von sechzig Jahren fordert. 4 Glaube ja nicht, daß er jüngere Witwen zurückweist und ablehnt, nachdem er zu seinem Schüler gesagt hatte: „Niemand mißachte deine Jugend“, 5 nicht etwa deine Enthaltsamkeit, sondern dein jugendliches Alter. Sonst müßten ja nach dieser Vorschrift alle Witwen, die vor dem sechzigsten Jahre ihren Gatten verloren, von neuem heiraten. Der Apostel wollte vielmehr die junge Kirche organisieren. Hierbei dachte er an jeden Stand, vor allem an die Armen, deren Betreuung ihm zugleich mit Barnabas übertragen war. 6 Er will nun, daß nur die Witwen auf Kosten der Kirche ihren Unterhalt finden, welche nicht mehr in der Lage sind, durch die Arbeit ihrer Hände ihr Brot zu verdienen. Sie sind die wahren Witwen, 7 die das Alter und die Lebensführung bewährt hat. Heli beleidigte Gott, weil er die Fehltritte seiner Söhne duldete. 8 Also wird auch auf der anderen Seite Gott durch die Tugenden der Kinder versöhnt, wenn sie ausharren im Glauben und in der Liebe, in Heiligkeit und Keuschheit. 9 O Timotheus, bewahre dich selbst in der Herzensreinheit! 10 Es liegt mir fern, irgendeinen schiefen Verdacht gegen Dich zu nähren. Aber es ist eine Pflicht der Nächstenliebe, mit allem Nachdruck zu warnen, wo das jugendliche Alter in seiner Vollkraft leicht den Lockungen der Sinnlichkeit folgen könnte. Was ich zu sagen habe, gilt nicht Deiner Person, sondern dem jugendlichen Alter im allgemeinen. Die Witwe, die ein üppiges Leben führt, ist, mag sie auch leben, tot. 11 So drückt sich das Gefäß der Auserwählung aus, das seine Worte aus dem guten Schatze hervorholt, 12 das sich als Beauftragter Christi fühlt, wenn es voller Zuversicht spricht: „Verlangt ihr S. 324 einen Beweis dafür, daß Christus durch mich redet?“ 13 So verkündet ein Apostel, der für seine Person freimütig die Schwäche des menschlichen Körpers eingestand, wenn er schreibt: „Denn nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse, das ich nicht will. 14 Deshalb züchtige ich meinen Leib und kasteie ihn, damit ich nicht, während ich anderen predige, selbst zugrunde gehe.“ 15 Wenn der Apostel in Furcht lebt, wer von uns mag sich da sicher fühlen? Wenn David, der Freund des Herrn, 16 und Salomon, der Liebling Gottes, 17 nach Menschenart der Versuchung unterlegen sind, um uns durch ihren Fall zur Vorsicht, durch ihre Buße aber zur Rückkehr auf den Weg des Heiles zu mahnen, wer sollte sich da gegen ein Ausgleiten auf dem schlüpfrigen Lebenswege gefeit wähnen? Deshalb laß auf Deinem Tisch keine Fasanen und gemästete Tauben, keine jonischen Haselhühner 18 auftragen, überhaupt nichts von all dem Geflügel, mit dem das größte Vermögen davonfliegen kann. Glaube nicht, daß Du schon dann keine Fleischesserin bist, wenn Du das Fleisch der Schweine, Hasen, Hirsche und der anderen Vierfüßler von Deiner Tafel fernhältst. 19 Nicht auf die Zahl der Beine kommt es an, sondern auf den Wohlgeschmack. Ich kenne zwar das Wort des Apostels: „Jedes Geschöpf Gottes ist gut, und nichts ist zu verwerfen, was wir mit Danksagung genießen können.“ 20 Aber derselbe Apostel schreibt: „Es ist gut, S. 325 keinen Wein zu trinken und kein Fleisch zu essen.“ 21 Er spricht vom Wein, auf dessen Grund die Wollust lauert.“ 22 Jedes Geschöpf Gottes ist gut. 23 Das mag die Losung sein für die Frauen, die besorgt sind, wie sie ihrem Manne gefallen. 24 Mögen sie Fleisch essen, die dem Fleische dienen, deren ganzes ungezügeltes Trachten auf Beischlaf eingestellt ist, die, an die Männer gebunden, nur an Kindererzeugung denken. Sie, deren Schoß die Leibesfrucht trägt, mögen ihre Eingeweide mit Fleisch anfüllen. Du aber hast im Grabe Deines Gatten alle Freuden dieser Art mitbestattet. An seiner Totenbahre hast Du Dein mit Purpur und Bleiweiß geschminktes Gesicht mit Deinen Tränen abgewaschen. Die Prachtkleider und die golddurchwirkten Schuhe hast Du abgelegt und dagegen eine dunkle Tunika und schwarze Schuhe eingetauscht. Nur ausharren lautet für Dich die Losung. Fasten, Blässe, Vernachlässigung des äußeren Menschen seien in Zukunft Deine Edelsteine. Deine jugendlichen Glieder sollst Du nicht im weichen Federbette verwöhnen. Dein junges Blut soll sich in den heißen Bädern nicht von neuem aufpeitschen lassen. Ich darf hier hinweisen auf das, was ein heidnischer Dichter einer enthaltsamen Witwe in den Mund legt:
„Meine Liebe hat er, dem zuerst ich ehlich geeint war, Mitgenommen ins Grab. Ihm sei sie treue Gefährtin. Und nimmer erstehe sie wieder!“ 25 Wenn das armselige Glas eine solche Auffassung vertritt, was muß ich da von der kostbaren Perle erwarten? 26 Wenn eine heidnische Witwe, die nur das allgemeine Naturgesetz kennt, alle Vergnügen verurteilt, was darf ich dann von einer christlichen Witwe erhoffen, welche ihre Keuschheit nicht bloß einem Verstorbenen schuldet, sondern auch dem, mit dem sie einst herrschen soll? S. 326
Ps. 126, 3. ↩
1 Tim. 5, 9 f. ↩
Vgl. S. 77 Anm. 2. ↩
1 Tim. 5, 9. ↩
Ebd. 4, 12. ↩
Apg. 11, 30. ↩
1 Tim. 5, 16. ↩
1 Kön. 2, 30 ff. ↩
1 Tim. 2, 15. ↩
Ebd. 5, 22. ↩
Ebd. 5, 6. ↩
Matth. 12, 35. ↩
2 Kor. 13, 3. ↩
Röm. 7, 19. ↩
1 Kor. 9, 27. ↩
2 Kön. 11, 2 ff. ↩
3 Kön. 11, 1 f.; 2 Kön. 12, 25. ↩
Horaz, Epod. 2, 54. ↩
Es scheint gewisse aszetische Kreise gegeben zu haben, die nur das Fleisch der Vierfüßler vom Genusse ausschlossen. Gegen diese Auffassung wendet sich auch in der zweiten Hälfte des 5. Jahrh. Julianus Pernerius (De vita contemplativa II 23 s. M PL IXL 469). Interessant ist, daß auch der hl. Benedikt in seiner Regel (c. 39) nur das Fleisch der Vierfüßler den Mönchen zu genießen verbietet. Leipelt vermutet, daß man das Geflügel den Fischen gleichsetzte, da diese beiden Tierarten am gleichen Schöpfungstage erschaffen wurden (Ausgewählte Briefe des hl. Hieronymus I. Kempten 1872, 442). ↩
1 Tim. 4, 4. ↩
Röm. 14, 21. ↩
Eph. 5, 18. ↩
1 Tim. 4, 4. ↩
1 Kor. 7, 34. ↩
Vergil, Aen. IV 28 f. ↩
Tertullian, Ad mart. 4 (BKV VII 222). Unter dem armseligen Glas ist das Heidentum zu verstehen. ↩
