8.
Ich bitte Dich, aus diesen allgemein gehaltenen, auf eine junge Frau eingestellten Mahnungen keineswegs zu vermuten, daß ich Dich beleidigen möchte. Nicht um zu tadeln, schreibe ich, sondern aus Besorgnis. Mein innigster Wunsch ist, Du möchtest das gar nicht kennen, weswegen ich Sorge habe. Der gute Ruf in Sachen der Keuschheit ist bei den Frauen eine gar zarte Angelegenheit. Gleich einer wunderschönen Blume verwelkt sie rasch beim leisen Lufthauch, und eine leise Bewegung des Windes zerstört sie. Dies ist besonders der Fall, wenn es sich um das Alter handelt, das zur Sünde hinneigt, und wenn die Autorität des Mannes fehlt, dessen Schatten schon ein Schutz für die Gattin ist. Was soll nun eine Witwe tun, die inmitten eines großen Gesindetrosses, umgeben von einer zahlreichen Dienerschar, leben muß? Sie soll sie nicht verachten, weil sie Diener sind, aber sie soll vor ihnen erröten, weil es Männer sind. Wenn das Ansehen eines großen Hauses ein solch zahlreiches Personal erfordert, dann möge die Witwe es der Aufsicht eines Greises von gutem Rufe unterstellen, der sich eine Ehre daraus macht, der Herrin Würde zu wahren. Mir sind viele Fälle bekannt, wo Damen durch ihre Diener ins Gerede kamen, obwohl sie allen Verkehr nach außen hin mieden. Diese machten sich verdächtig durch übertriebene Kleiderpracht, durch auffallende Pflege ihres wohlgenährten Körpers, durch ihre zur Sinnlichkeit lockende Jugend, durch ein anmaßendes Auftreten, das sie sich, auf eine geheime Liebe bauend, glaubten erlauben zu dürfen. Mag man eine solche Anmaßung noch so sorgfältig verheimlichen, so macht sie sich trotzdem nicht selten in der Öffentlichkeit bemerkbar, besonders wenn einer auf seine Mitbediensteten, als ob sie seine Diener wären, herabschaut. Das möge aus der Fülle eines überströmenden Herzens gesagt sein, damit Du mit aller Sorgfalt auf Deine Seele S. 327 achtest 1 und jeglichem Verdachte, mag er auch noch so falsch sein, vorbeugest.
Sprichw. 4, 23. ↩
