33. Die Fabeln der Perser über Piurasp Aschdahak.
Was in aller Welt für ein Vergnügen mögen die plumpen und ungeheuerlichen Fabeln des Piurasp Aschdahak bereiten, und warum machst du mir für die unpassenden und ungeordneten Erzählungen der Perser Mühe, die ganz besonders gross ist wegen der unaussprechlichen Schlechtigkeit des Piurasp, wegen seiner anfänglichen perfiden Güte, wegen der Dienstleistung der Dämonen für ihn, und weil ich nicht übergehen kann den Irrthum und die Lüge und das Küssen der Schultern und die daraus erfolgte Geburt der Drachen und die darauf folgende Zunahme der Schlechtigkeit und das Menschenfressen für das Bedürfniss des Bauches und dann, dass ein gewisser Hruden ihn mit ehernen Stricken band und auf einen Berg führte, der Dembavend genannt wird, dass Hruden auf dem Wege einschlief, und Piurasp ihn nach einem Hügel hinzog, dass Hruden erwachte, ihn in eine Höhle des Berges führte, ihn band und sich selbst ihm gegenüber wie eine Statue aufstellte, und dass er dadurch erschreckt seinen Ketten gehorsam lebt und nicht herausgehn und der Welt schaden kann.
Was für ein Verlangen hast du nun unter diesen Umständen nach den falschen Fabeln und was für ein Bedürfniss nach der Auseinandersetzung der unverständigen und thörichten Erzählungen? Es sind ja doch nicht die griechischen edeln und schönen, vernünftigen Fabeln, welche die Wahrheit der Dinge allegorisch in sich verborgen tragen. Aber du befiehlst mir Gründe für ihre Unvernünftigkeit anzugeben und das Ungeordnete zu ordnen. Ich will das deinen kindlichen Jahren verzeihen als einen Wunsch der Unreife deines ungebildeten Zustandes. Desshalb will ich denn auch hier das Verlangen deines Willens erfüllen.
Angabe dessen, was über den Piurasp gewiss ist.
Jetzt spreche ich ganz kühn das platonische Wort aus: „Kann Jemand einem Freunde ein anderes Ich sein? Sicherlich Niemand.“ Da ich schon andere unmögliche Dinge deinetwegen S. 55 möglich gemacht habe, vollbringe ich auch dieses. Ich hasse zwar diese Worte und Thaten, besonders diese, da das Anhören derselben mein Ohr ermüdete; aber dennoch schreibe ich sie hier mit eigener Hand nieder, indem ich ihrem Unverstande Verstand gebe, und enthülle ich die ältesten Thaten der Perser, die ihnen selbst schon unverständlich sind, wenn du nur Freude und Nutzen davon hast. Merke dir aber wohl meine Abneigung gegen derartige Erzählungen daran, dass ich sie nicht fiir würdig gehalten habe, sie in den ersten Zeilen und die letzten Worte einzureichen, sondern ausserhalb und geschieden sie angefügt habe. Ich will beginnen.
Der von den Persern sogenannte Piurasp Aschdahak, ihr Ahne, lebte unter Nebruth. Denn bei der Trennung der Sprachen über die ganze Erde gab es keine Verwirrung für die Masse, fehlten auch nicht Leiter und Führer, sondern auf ein göttliches Zeichen hin haben die Familienhäupter sich getrennt und ihre jedesmaligen Gebiete ererbt.
Den sichern Namen des Piurasp kenne ich, da ich den Centauren Piurida in einem chaldäischen Buche gefunden habe. Dieser hatte nicht so sehr durch Tapferkeit, als durch Reichthum und Geschicklichkeit die Führerschaft über sein Volk unter der Botmässigkeit des Nebruth. Er wollte Allen ein volksthümliches Leben zeigen und sagte, Nichts dürfe Eigenthum sein, sondern Alles müsse gemeinsam und Alles offen sein, Wort und That. Im Geheimen dachte er Nichts, sondern trug alle Geheimnisse seines Herzens offen mit der Zunge hinaus und das Aus- und Eingehen seiner Freunde liess er am Tage wie bei Nacht geschehen. Das ist seine genannte anfängliche und perfide Güte.
Weil er in der Astrologie stark war, wollte er die vollendete Schlechtigkeit, die Zauberei, erlernen; aber das war ihm unmöglich. Wie ich oben gesagt habe, hatte er behufs der Täuschung der Masse die Gewohnheit, Nichts im Verborgenen zu thun. Daher war ihm diese letzte und vollendete Schlechtigkeit zu erlernen keine Möglichkeit geboten; er findet aber dennoch auch fiir Erlernung dieser verwerflichen Kunst ein S. 56 Mittel und zwar in dem Vorgeben die heftigsten Bauchschmerzen zu haben, welche durch nichts Anderes geheilt werden könnten, als durch ein schreckliches Wort und Name, den nicht leicht Jemand hören könne. Derjenige, welcher die gewohnte Schlechtigkeit wob, belehrte ihn zu Hause und in der Oeffentlichkeit, indem er, ohne dass Jemand Verdacht schöpfte, seinen Kopf auf die Schultern des Piurasp legte, und lehrte ihn ihm ins Ohr flüsternd die schlechte Kunst. Derjenige, den sie in ihren Fabeln den Sohn des Satans nennen, wurde ihm durch Dienstleistung gefällig, dann forderte er dafür ein Geschenk von ihm und küsste ihm die Schultern.
Die Geburt der Drachen oder vielmehr die vollständige Verwandlung des Piurasp in einen Drachen ist diese. Er fing an unaufhörlich den Göttern Menschen zu opfern, bis die Menge seiner überdrüssig wurde und ihn vertrieb, und er in die genannten hochgelegenen Gegenden floh. Als man ihn heftig verfolgte, sagte sich sein Gefolge von ihm los. Seine Verfolger gewannen dadurch Vertrauen und ruhten einige Tage an den. Orten aus. Als aber Piurasp die Zerstreuten versammelt hat, kommt er unversehens über sie, wobei er grosses Unheil anrichtet. Jedoch die Menge siegt, und Piurasp wird flüchtig; sie erreicht und tödtet ihn nahe am Berge und wirft ihn in eine tiefe Schwefelgrube.
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