6. Ueber solche Punkte, welche die andern Archäologen in Uebereinstimmung mit und abweichend von Moses erzählen und über ungeschriebene Erzählungen des Philosophen Olympiodorus.
In so fern ich die Wahrheit aus vielen Schriften ausziehen konnte, habe ich die Nachkommenschaft der drei Söhne Noe’s bis auf Abraham, Ninus und Ara so geordnet, dass ich nicht glaube, dass Jemand, der Verstand hat, Etwas dagegen einwenden kann. Wenn aber Jemand sich bemüht, darauf zu sinnen, die Form der Wahrheit zu zerreissen, indem er die wahre Geschichte in Fabeln umzuändern für gut findet, so mag daran Jeder, wie er will, sich ergötzen.
Wenn du, Studienliebhaber, der du mich jetzt beschäftigst, für meine Nachtwachen und Arbeiten dankbar bist, so werde ich in wenigen Worten auf die Besprechung dessen, was ich
schon oben in Ordnung gebracht habe, zurückkommen, wie nämlich die ersten Chronisten in Betreff eben dieses zu schreiben für gut gefunden haben, obgleich ich jetzt nicht zu sagen weiss, in welchem Zustande es in den königlichen Bibliotheken vorgefunden worden sein mag, und wie ein Jeder nach Gutdünken die Namen, Erzählungen und Zeitangaben und Anderes aus welcher Ursache immer geändert hat. Wie es für den Anfang der Geschichte natürlich ist, findet sich bald Wahres bald Falsches, wie in Betreff der ersten Creatur, in so fern man sie nicht den ersten Menschen, sondern König nennt, ebenso ihr barbarische S. 13 und nichtssagende Namen beilegt und ihr 36,000 Jahre als Lebenszeit zuweist. In Betreff der Zahl der Patriarchen und der Erwähnung der Sündfluth herrscht Uebereinstimmung mit Moses. Ebenso sind die Chronisten darin wahr, dass sie nach der Sündfluth vor die Erbauung des Thurmes und nach der Fahrt des Xisustr nach Armenien berühmte Männer setzen, während sie in der Aenderung der Namen und in vielen andern Dingen lügen.
Aber jetzt will ich mich freuen, dass ich den Anfang der gegenwärtigen Erzählungen mit meiner geliebten, über viele Andere hinaus wahrhaftigen herosischen Sibilla machen kann: „Vor dem Thurmbaue,“ sagt sie, „und vor der Vervielfachung der Sprache des Menschengeschlechtes und nach der Fahrt des Xisuthr nach Armenien waren Srovan, Titan und Japetosthe die Fürsten der Erde.“ Diese scheinen mir Sem, Kham und Jabeth zu sein.
„Als diese, “ sagt sie, „den ganzen Erdkreis unter sich getheilt hatten, herrschte in Wirklichkeit über die beiden Andern der mächtig gewordene Srovan, “ von welchem der Magier Sradascht, der König der Baktrier d. h. der Meder, sagte, dass er der Ursprung und der Vater der Götter sei, und vieles Andere fabelte, was zu wiederholen mir ungelegen ist.
„Als Srovan tyrannisch wurde,“ sagt sie weiter, „widersetzten sich ihm Titan und Japetosthe, indem sie gegen ihn zum Kriege aufreizten, weil er damit umging, seine Söhne über Alle herrschen zu lassen“. In diesem Kriege erbeutete Titan einen Theil des Erbgebietes Srovans. Da tritt ihre Schwester Astghik zwischen sie und macht durch Ueberredung dem Kampfe ein Ende. Sie lassen sich für ihre Person die Herrschaft des Sroyan gefallen, schliessen aber einen gegenseitigen beschworenen Vertrag, jeden Knaben, der dem Srovan geboren werde, zu tödten, damit er nicht durch seine Nachkommenschaft über sie herrsche. Desshalb stellen sie starke Männer aus den Titanen an als Wächter über die Geburten seiner Frauen. Und nachdem sie zwei Knaben um den Vertragseid zu halten getödtet hatten, macht für die Zukunft ihre Schwester Astghik mit den Weibern S. 14 Srovans den Anschlag, die Titanen zu überreden, die andern Knaben zu retten und nach Westen auf einen Berg zu schicken, den man Tytsenkets nannte und schrieb, jetzt aber Olympus nennt.“
Sei es nun, dass Jemand dieses für eine Fabel, sei es, dass er es für wahr hält, es liegt, wie ich überzeugt bin, viel Wahres darin. Denn auch Epiphanius der Bischof von Constantia auf Cypern sagt in der Widerlegung der Häresien, wo er es unternimmt, Gott als wahr und gerecht urtheilend in Bezug auf die Vernichtung der sieben Völker durch die Söhne Israels zu beweisen , also: „Gott hat mit Recht jene Völker vor dem Angesichte der Söhne Israels vernichtet; denn als Antheil der Söhne Sem’s war das Land jener Besitzungen abgetrennt worden, Kham aber kam mit Gewalt darüber und nahm es in Besitz. Da jedoch Gott die Rechte des beschworenen Vertrages wahrt, so nimmt er Rache an den Söhnen Khams, indem er ihnen die Erbschaft Sem’s entreisst.“ Die Titanen aber und die Raphajim erwähnt die heilige Schrift.
Ich muss nun, wenn auch sehr kurz, einige ungeschriebene alte Erzählungen wiederholen, welche einmal vor Alters unter den Gelehrten der Griechen erzählt worden sind. Diese Erzählungen sind auch auf uns gekommen durch die Gorgi und Banan genannten Männer und einen dritten Namens David. Einer von diesen, der in der Philosophie bewandert war, sagte so: O, Greise, als ich unter den Griechen mit dem Studium der Weisheit beschäftigt mich aufhielt, kam es eines Tages vor, dass über die Abgrenzung und Vertheilung der Völker unter den sehr weisen und sehr gelehrten Männern gesprochen wurde. Die Einen gaben die Erzählungen der Bücher auf diese, die Anderen auf jene Weise. Jedoch der tüchtigste von ihnen, Olympiodor mit Namen, sagte so: Ich will euch ungeschriebene durch die Tradition auf uns gekommene Erzählungen mittheilen, welche viele Bauern noch jetzt erzählen.
Es gibt ein Buch über Xisuthr und seine Söhne, welches jetzt gar nicht mehr zum Vorscheine kommt, in welchem aber, wie man sagt, folgender Abschnitt sich befindet „Nach der S. 15 Fahrt des Xisuthr nach Armenien und dem sichtbar Werden des festen Landes, heisst es, geht einer seiner Söhne, Sim genannt, nach Nordwesten um das Land ausznforschen. Nachdem eine kleine Ebene an einem ausgedehnten Berge, durch deren Mitte Flüsse nach der assyrischen Seite hinflossen, sichtbar geworden ist, bleibt er zwei Monate an dem Flusse, nennt den Berg nach seinem Namen Sim und kehrt nach Südosten zurück, woher er gekommen war. Einer seiner jüngeren Söhne aber Namens Tarban trennt sich mit dreissig Söhnen und fünfzehn Töchtern und deren Gatten vom Vater und siedelt sich auf demselben Ufer an. Nach dem Namen dieses Sohnes nennt er die Provinz Taran und den Ort, wo er sich niederliess Tsronkh d. h. Trennung; denn dort begann die erste Trennung seiner Söhne von ihm. Als er sich gegen die Grenzen des Gebietes der Baktrier gewandt hatte, um wenige Tage dort zu wohnen, blieb einer seiner Söhne daselbst; denn die östlichen Gegenden nennen den Sim Srovan und den Canton Sarovand bis jetzt. Sehr oft sagen die alten Armenier nach dem Tone der Cymbeln und nach dem Schalle der Lieder und bei Tanzversammelungen dieses aus dem Gedächtnisse her. Ob nun diese Erzählungen falsch oder wahr sind, geht mich Nichts an. Nur damit du Alles erfahrest, was in der Tradition und in den Büchern enthalten ist, gehe ich das Ganze in diesem Buche durch, woraus du die Aufrichtigkeit meiner Gesinnung gegen dich ersehen kannst.
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