III, 5.
S. 41 [Was bedeutet das Wort: Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als ein Reicher in das Reich Gottes?]
Wir wollen aber einen Ausspruch prüfen, der noch unsinniger ist als die vorigen, wo es heißt: »Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als ein Reicher in das Himmelreich«. Wenn also ein Reicher, der sich von den Verfehlungen des Lebens frei gehalten hat, von Mord, Diebstahl, Ehebruch, Giftmischerei, frevlerischem Eid, Gräberschändung, tempelräuberischer Bosheit, nicht in das sogenannte Himmelreich eingeht, was haben dann die Gerechten von ihrem Rechttun, wenn sie zufällig reich sind? Und was schadet es anderseits den Armen, wenn sie jeglichen unbändigen Frevel begehen? Denn nicht die Tugend führt den Menschen in den Himmel, sondern die Armut und der Mangel an Gütern. Denn wenn den Reichen sein Reichtum vom Himmel ausschließt, so führt nach dem Satz des Gegenteils die Armut die Armen hinein. Dann ist es ganz in der Ordnung, daß einer, der das gelernt hat, sich um die Erlernung der Tugend ganz und gar nicht mehr kümmert, sondern seinen Sinn ungehemmt nur auf Armut und Schande richtet, da ja die Armut imstande ist den Armen zu retten und der Reichtum den Reichen von der reinen Wohnung (im Himmel) ausschließt. Daher scheinen mir diese Worte nicht von Christus herzurühren, wenn anders er die Richtschnur der Wahrheit überliefert hat, sondern von Armen, die durch solch leeres Geschwätz das Vermögen der Reichen an sich bringen wollten. Wirklich noch gestern, nicht vor alters, haben sie angesehenen Frauen die Worte dazu vorgelesen: »Verkaufe deine Habe und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben«, um sie dadurch zu überreden, all ihren Besitz, den sie hatten, und ihre Habe unter die Armen zu verteilen, sich selbst in Bedürftigkeit zu begeben, um Gaben zu bitten, aus der Unabhängigkeit in eine unwürdige S. 43Bettelhaftigkeit überzugehen, den Wohlstand mit einer Jammergestalt zu vertauschen und schließlich sich gezwungen zu sehen, an den Türen der Besitzenden sich einzufinden. Das ist doch aber die erste oder vielmehr äußerste Frevel- und Unglückstat, unter dem Vorwand der Frömmigkeit seine Güter preiszugeben und dann, von der Not der Armut gedrungen, nach fremdem Gut zu begehren. Hiernach scheinen mir diese Worte die eines kränklichen Weibes zu sein.
