III, 15.
S. 47Viel besprochen und berüchtigt ist jenes Wort des Lehrers: »Wenn ihr nicht mein Fleisch essen und mein Blut trinken werdet, so habt ihr kein Leben in euch«. Das ist nicht tierisch und absurd, sondern absurder als jede Absurdität und tierischer als jede tierische Wildheit, daß Menschen Menschenfleisch essen und das Blut ihrer Stammesgenossen und Verwandten trinken und dadurch das ewige Leben haben sollen! Denn, sage mir, was für eine größere Roheit als solch eine Handlung könnt ihr noch in das Leben einführen? Was für einen Frevel könnt ihr noch ersinnen, der fluchwürdiger wäre als dieser Greuel? Das Ohr erträgt es nicht — ich sage nicht die Handlung, sondern auch nicht die Kunde von dieser neuen und unerhörten Greueltat; auch haben selbst die Phantasien der Erinnyen niemals den Verbannten so etwas vorgespiegelt, ja selbst die Potidäer hätten sich, wenn nicht unmenschlicher Hunger sie entkräftet hätte, niemals einer solchen Handlung schuldig gemacht! Wohl hat es einst eine thyestische Mahlzeit dieser Art aus Bruderhaß gegeben; Tereus, der Thrakier, sättigte sich, ohne es zu wissen, an dieser Speise. Harpagus, von Astyages getäuscht, schmauste das Fleisch seines liebsten Kindes. Aber diese alle haben unfreiwillig diesen Frevel begangen, niemand hat unter friedlichen Verhältnissen jemals im Leben eine solche Mahlzeit zugerichtet; niemand hat von einem Lehrer eine so abscheuliche Unterweisung empfangen. Und wenn du mit deinen Erkundigungen nach Skythien kämest, wenn du das Land der äthiopischen Makrobier durchwandertest, wenn du rings um den ganzen Ozean rittest, so wirst du Phtheirophagen und Rhizophagen finden und wirst von solchen hören, die Kriechtiere und Mäuse verzehren, aber von Menschenfleisch enthalten sich alle. Was bedeutet nun jener Ausspruch? Denn wenn er auch, allegorisch verstanden, einen geheimnis- und wertvollen Sinn haben sollte, so vergiftet doch der Geruch des Ausspruchs, wenn er irgendwo in das Innere eindringt, die Seele selbst und bringt sie durch seine Widerlichkeit in Aufruhr; er läßt den geheimen Sinn ganz und gar verschwinden und macht, daß sich bei solcher Attacke alles in einem umdreht. Nicht einmal die Natur der unvernünftigen Kreatur, selbst im unerträglichsten Hungerzustände S. 49zustande, verträgt so etwas: kein Hund und kein anderes Tier frißt jemals das Fleisch seiner Verwandten. Zwar bringen viele Lehrer Fremdartiges und Paradoxes auf; doch keiner von ihnen hat eine fremdartigere und traurigere Vorschrift erfunden, kein Geschichtschreiber, kein Philosoph, niemand von den Barbaren, niemand von den Hellenen der alten Zeit! Sehet her, was ist euch angekommen, daß ihr ganz widersinnig die leichtbewegliche Menge zum Anschluß (an eine solche Vorschrift) auffordert! Sehet her, was für ein Unheil nicht nur gegen die Dörfer, sondern auch gegen die Städte herangestürmt ist! Daher scheint mir, daß Markus und Lukas, ja auch Matthäus den Ausspruch absichtlich nicht aufgezeichnet haben, da sie ihn nicht für gesittet gehalten haben, sondern für fremdartig und anstößig und aller Cultur gänzlich bar. Ja du selbst, wenn du ihn liest, wirst ihn wohl nicht gerne hinnehmen, noch irgend ein anderer, der an freier Bildung herangewachsen ist.
