41. Warum der Herr den Juden erlaubte, einen Scheidebrief zu geben.
Warum hat aber der Herr dieses den Juden erlaubt? Damit sie nicht mit einander haderten und ihre Häuser nicht mit Verwandtcnblut anfüllten. Denn, sage mir, was war besser, die Verhaßte aus dem Hause zu jagen oder sie darin zu erwürgen? Denn das würden sie gethan haben, wäre es ihnen nicht gestattet gewesen, sie zu verstoßen. Deßwegen heißt es: „Wenn du sie hassest, entlasse sie.“1 Wenn er aber die Sanftmüthigen und jene anredet, denen er nicht gestattet zu zürnen, sagt er: „Wenn sie aber sich getrennt S. 217 hat, so bleibe sie unverheiratet.“2 Siehst du den Zwang, die unausweichliche Knechtschaft und die Beide umschlingende Fessel? Denn die Ehe ist wirklich eine Fessel, nicht bloß wegen der Anhäufung der Sorgen und wegen der täglichen Kümmernisse, sondern auch deßwegen, weil sie die Ehegatten nöthigt, sich in höherem Grade noch, als jeder Sklave, einander zu unterwerfen. „Der Mann“, heißt es, „soll herrschen über das Weib.“3 Und welches ist der Gewinn dieser Herrschaft? Denn sie macht ihn hinwieder zum Sklaven derjenigen, welche beherrscht wird, indem sie einen neuen und unerhörten Ersatz der Knechtschaft ausgedacht hat und gleichwie die Füße der Flüchtlinge, die theils für sich gefesselt, theils wiederum durch eine kleine Kette, die mit jedem Ende an die Fußschelle befestiget ist, mit einander verbunden sind, nicht frei einherschreiten können, weil der eine gezwungen wird, dem andern zu folgen: Ebenso haben auch die Gemüther der Verheiratheten theils ihre eigenthümlichen Sorgen, theils werden sie auch von einer andern Noth wegen des gegenseitigen Zusammengebundenseins in Anspruch genommen, das sie fester bindet, als jegliche Kette und beiden die Freiheit benimmt, weil nicht einem einzigen die Herrschaft übertragen, sondern diese auf Beide vertheilt ist. Wo sind nun diejenigen, welche um der Erleichterung willen, welche die sinnliche Lust gewährt, die ganze Verurtheilung zu tragen bereit wären? Denn nicht wenig Vergnügen geht verloren, da oft eine lange Zeit in gegenseitigen Anfeindungen und Zwistigkeiten zugebracht wird. Ja auch diese Knechtschaft, daß der Eine die Schlechtigkeit des Andern gegen seinen Willen zu ertragen genöthiget ist, reicht hin, die ganze Luft zu verkümmern. Deßhalb drängte jener Selige die ungestüme Wollust zuerst mit beschämenden Worten zurück, indem er sagt: „Wegen der Hurerei, der Unenthaltsamkeit, der Brunst.“ Als er aber bemerkte, daß diese Sprache der Verurtheilung von Vielen gering geachtet werde, so setzt S. 218 er hinzu, was zum Abschrecken kräftiger ist. Deßwegen wurden auch die Jünger gezwungen zu sagen: „Es ist nicht gut heirathen,“ daß heißt aber, daß keiner der Verheiratheten sein eigener Herr sei. Und das sagt er etwa nicht bloß ermahnend und rathend, sondern befehlend und gebietend. Denn das Heirathen oder Nichtheirathen steht bei uns, nicht aber, was der Ehe folgt: wir müssen die Knechtschaft ertragen, ob wir wollen oder nicht. Warum denn? Weil wir sie Anfangs nicht unwissend gewählt, sondern ihre Rechte und Gesetze wohl kennend uns freiwillig unter ihr Joch begeben haben. Nachdem er aber hierauf von jenen geredet, welche ungläubige Weiber haben und alle Ehegesetze genau durchgegangen; nachdem er die Sprache auf die Sklaven gelenkt und dieselben passend mit der Bemerkung getröstet hatte; daß ihr geistiger Adel durch die Sklaverei nicht vermindert werde, so geht er zur Rede über die Jungfräulichkeit über, womit er schon längst schwanger gegangen und sie von sich zu geben versucht hatte, aber erst jetzt von sich gab, obgleich er sie auch dort, wo er von der Ehe geredet, nicht mit Stillschweigen zu übergehen vermochte. Denn wenn auch nur kurz und obenhin, verflocht er sie doch auch in diese Ermahnung; und nachdem er auf diese so vortreffliche Weise unsere Ohren gleichsam vorbereitet und unsern Geist kirre gemacht, so verschafft er seiner Rede einen leichten Eingang. Denn nach seiner Ermahnung an die Sklaven („Denn ihr seid“, sagt er, „theuer erkauft; werdet nicht Knechte der Menschen“4 ruft er uns die Wohlthat des Herrn in’s Gedächtniß, richtet dadurch Aller Herzen auf und erbebt sie zum Himmel und lenkt so die Rede auf den jungfräulichen Stand mit folgenden Worten: „Was aber die Jungfrauen betrifft, so habe ich kein Gebot vom Herrn; einen Rath aber gebe ich, als der ich vom Herrn Barmherzigkeit erlangt habe, gläubig zu sein.“5 Und obwohl er auch keinen Befehl hatte bezüglich der Gläubigen, die mit Ungläubigen verheirathet sind, so verordnet er doch mit großer Vollmacht, indem er also S. 219 schreibt: „Den Uebrigen aber sage ich, nicht der Herr: Wenn ein Bruder ein ungläubiges Weib hat und es ihr gefällt, mit ihm zu wohnen, so entlasse er sie nicht.“6 Warum erklärst du dich nicht ebenso deutlich in Bezug auf die Jungfrauen? Weil hierüber Christus eine deutliche Regel gegeben, indem er verbot, diesen Gegenstand in die Form eines zwingenden Gesetzes zu bringen. Denn jenes: „Wer es fassen kann, der fasse es,“ ist die Sprache dessen, der dem Zuhörer die freie Wahl anheim gibt. Als er daher von der Enthaltsamkeit sprach, sagte er: „Ich wünsche, daß alle Menschen wären, wie ich;“ und wiederum: „Den Unverheirateten aber und den Wittwen sage ich: Es ist ihnen gut, wenn sie so bleiben, wie auch ich.“7 In seinen Reden über die Jungfräulichkeit aber stellt er sich nirgends als Beispiel hin: deßhalb spricht er auch sehr bescheiden und vorsichtig; denn er selbst hatte die Sache nicht zu ordnen: „Ich habe kein Gesetz,“ sagt er. Nachdem er also zuerst dadurch, daß er die Wahl frei läßt, den Zuhörer geneigt gemacht hat, fügt er dann seinen Rath bei. Weil nämlich der Ausdruck „Jungfrauschaft“, sobald er ausgesprochen ist, sogleich eine große Mühe andeutet, deßhalb läßt er sich nicht unmittelbar auf die Ermahnung ein, sondern stellet sie erst vor Augen, nachdem er zuvor den Schüler für die Wahl gewonnen und dessen Seele willig und fügsam gemacht hat und zwar auf folgende Weise: „Du hast den Namen Jungfrauschaft nennen hören; ein Name vieler Anstrengungen und vielen Schweißes. Fürchte dich nicht; es handelt sich nicht um einen Befehl, um den Zwang eines Gesetzes; wohl aber belohnet sie jene, welche sie willig und gerne ergreifen, mit ihren Gütern, indem sie ihnen eine strahlende Blumenkrone auf’s Haupt setzt; jene aber, welche ihr ausweichen und sich ihr nicht unterziehen wollen, straft sie weder, noch zwingt sie dieselben, gegen ihren Willen dieses zu thun.“ Nicht aber bloß deßhalb machte Paulus seine Rede so wenig belästigend und so lieblich, S. 220 sondern damit die Wohlthat der Sache nicht als sein, sondern als das Werk Christi erscheine. Denn er sagt nicht: „Was die Jungfrauen betrifft, so gebiete ich nicht,“ sondern: „Ich habe kein Gebot,“ als wollte er sagen: Wenn ich durch menschliche Rücksichten bewogen dazu rathen würde, so müßte man mißtrauisch sein; weil es aber Gott so geordnet, so ist es ein sicheres Unterpfand der Freiheit. Mir ist zwar die Macht dieß zu befehlen benommen; wenn ihr aber mich wie einen Mitknecht hören wollet, „so gebe ich euch,“ sagt er, „einen Rath, als der ich vom Herrn Barmherzigkeit erlangt habe, gläubig zu sein.“ Hier muß man aber die große Gewandtheit und Klugheit des heiligen Paulus bewundern, wie er, zwischen zwei nothwendige und doch entgegengesetzte Dinge gestellt, theils sich selbst zu empfehlen, um dem Rathe eine gute Aufnahme zu sichern, theils nichts Großes von sich zu sagen, weil er dieser Tugend entbehrte, mit wenigen Worten Beides erreicht hat. Denn mit dem Ausdruck: „Als der ich Barmherzigkeit erlangt habe“ empfiehlt er sich in gewisser Weise; damit aber, daß er es mit keiner glänzenderen Seite thut, erniedrigt und verdemüthigt er sich wieder.
