76. Nicht die Jungfrauschaft, sondern unsere Trägheit ist ein Strick.
Hiebei dürfte jedoch Jemand mit Recht einwenden, wie der, welcher oben die Sache eine Befreiung von Banden nennt und sie zu unserm Nutzen anzurathen vorgibt, damit wir ohne Sorgen sein möchten, und weil er uns schont und durch all dieses sie für leicht und erträglich erklärt, hier sagen könne: „Nicht daß ich euch einen Strick anlege.“ Was heißt dieses nun? Er hat nicht die Jungfrauschaft einen S. 269 Strick genannt; das sei ferne! sondern vielmehr das Ergreifen derselben in Folge von Zwang und Gewalt. Denn die Sache verhält sich also: Alles, was Jemand gezwungen und wider seinen Willen übernimmt, das wird, wie leicht es auch sein mag, gar beschwerlich und schnürt die Seele mehr zusammen als ein Strick. Deßhalb sagt er: „Nicht daß ich euch einen Strick anlege,“ d. h. ich habe alle Vorzüge der Jungfrauschaft erwähnt und gezeigt; dennoch lasse ich euch nach all dem die Wahl und zwinge euch nicht gegen euern Willen zur Tugend. Denn ich habe euch diesen Rath nicht gegeben, um euch zu betrüben, sondern damit die Wohlanständigkeit nicht durch weltliche Dinge vernichtet werde. Erkenne aber auch hier die Klugheit des Paulus, wie er den Entschuldigungen wieder die Ermahnung beifügt und, indem er eine Erlaubniß gibt, einen Rath ertheilt. Denn der, welcher sagt: „Ich zwinge nicht, sondern ich ermahne“ und dann hinzusetzt: „Wegen der Wohlanständigkeit und Beharrlichkeit“,1 zeigt die Bewunderungswürdigkeit und die Frucht der Jungfrauschaft, welche aus ihr für das ewige Leben hervorgeht. Denn eine Frau, welche in irdische Sorgen verwickelt ist und hierhin und dorthin gezogen wird, kann nicht geschickt sein (Gott zu dienen), weil ihr ganzes Bestreben und ihre ganze Muße auf viele Dinge vertheilt ist, auf ihren Mann, auf die Sorge für das Haus, und auf alles Andere, was die Ehe nach sich zieht.
I. Kor. 7, 35. ↩
