5.
Bis jetzt habe ich so gesprochen, als ob ich wirklich an dem Briefe etwas geändert hätte, als ob meine ehrlich gemeinte Übertragung einen Fehler enthalten könnte, allerdings keinen, der auf Böswilligkeit beruht. Jetzt freilich, nachdem aus dem Briefe selbst hervorgeht, daß nichts am Sinne geändert wurde, daß ich nichts hinzugefügt, keine Behauptung erdichtet habe, offenbaren meine Gegner, ohne es zu merken, daß sie nichts verstehen. 1 Sie bezichtigen einen anderen des mangelnden Wissens und legen damit Zeugnis von ihrer eigenen Unklugheit ab. Ich gestehe und bekenne mit S. b270 allem Freimut, daß ich bei der Übersetzung griechischer Texte, abgesehen von den heiligen Schriften, wo selbst die Anordnung der Worte ein Geheimnis ist, 2 nicht Wort für Wort, sondern sinngemäß übertrage. Hier ist Tullius mein Lehrmeister, welcher Platos Dialog Protagoras, Xenophons Schrift „Über die Kunst hauszuhalten“ und die beiden Meisterreden, die Äschines und Demosthenes gegeneinander gehalten haben, übersetzt hat. 3 Es ist hier nicht an der Zeit zu erörtern, wieviel er ausgelassen, hinzugefügt oder geändert hat, um die Eigentümlichkeiten der fremden Sprache in der ihm angemessenen Form wiederzugeben. Mir genügt das Urteil des Übersetzers, der sich im Vorwort zu den genannten Reden folgendermaßen äußert: „Ich glaube, daß die Arbeit, der ich mich jetzt unterziehe, für mich nicht nötig ist, daß sie aber den Freunden der Literatur viel Nutzen bringen wird. Ich habe nämlich zwei Glanzleistungen, die beiden Reden der berühmtesten griechischen Redner Äschines und Demosthenes, in denen sie gegeneinander auftraten, übersetzt. Aber ich wollte nicht Übersetzer werden, sondern Redner bleiben. Ich habe zwar ihre Gedanken, ihre Formen und ihre Gestaltung beibehalten, aber die Worte wählte ich, wie sie dem Geiste unserer Sprache angepaßt sind. Dazu war es nicht erforderlich, Wort um Wort zu übertragen; aber den Geist der Worte und ihre Kraft habe ich gewahrt. Was ich dem Leser bot, glaubte ich nicht nach der Zahl, sondern nach dem Gewicht verabfolgen zu müssen.“ 4 Am Ende des Vorwortes sagt Cicero weiter: S. b271 „Ich hoffe, daß ich die Reden in ihrer ganzen Wucht wiedergegeben habe, indem ich an ihren Gedanken, an den Bildern und an der Anordnung nichts änderte. An den Wortlaut aber habe ich mich nur insoweit gebunden, als er mit unserem Sprachgefühl im Einklang steht. Ist auch nicht alles wörtlich aus dem Griechischen übersetzt, so habe ich mich doch bemüht, die Bedeutung der Worte festzuhalten usw.“ 5 Aber auch Horaz, ein scharfsinniger und gelehrter Mann, verlangt in seiner „Kunst zu dichten“ vom erfahrenen Übersetzer ein Gleiches. Er schreibt: „Sei nicht in dem Sinne ein gewissenhafter Übersetzer, daß du meinst, Wort für Wort übertragen zu müssen.“ 6
Terenz 7 hat den Menander, 8 Plautus 9 und Caecilius 10 haben die alten Komiker übersetzt. Bleiben sie etwa am Worte hängen, oder suchen sie nicht vielmehr bei der Übertragung die Feinheit und die Schönheit des Originals zu wahren? Für das, was ihr eine treue Übersetzung nennt, haben gebildete Leute den Ausdruck κακοζηλία 11 geprägt. Von Leuten, wie ich sie oben nannte, hatte ich meine Grundsätze übernommen, als ich vor ungefähr zwanzig Jahren die Chronik des Eusebius ins Lateinische übersetzte. Ich war (nach eurer Auffassung) vom gleichen Irrtum wie sie eingenommen, ohne allerdings S. b272 zu ahnen, daß mir je daraus ein Vorwurf von euch gemacht würde. Damals schrieb ich unter anderem in meiner Vorrede: „Es ist schwer, bei wörtlicher Übertragung eines fremden Textes nicht mitunter auszurutschen. Es kostet Mühe, das, was sich in der fremden Sprache gut anhört, mit der gleichen Eleganz in der Übersetzung festzuhalten. Irgend etwas findet durch die Eigenart eines Wortes seinen prägnanten Ausdruck. Ich finde keinen, der die gleiche Wirkung erzielt. Will ich dem Sinne gerecht werden, so muß ich einen großen Umweg einschlagen, um ein kleines Stückchen Weges weiterzukommen. Dazu gesellen sich die störenden Anakoluthe, die Verschiedenheit der Fälle, die Mannigfaltigkeit der Bilder und zuletzt der jeder Sprache, der fremden wie der eigenen, innewohnende Sprachgeist. Übersetze ich wörtlich, dann tritt Unsinn zutage. Ändere ich aber notgedrungen etwas an der Anordnung oder am Wortlaute, dann könnte man mir vorwerfen, daß ich das Amt des Dolmetschers schlecht wahrnehme.“ 12 Nach weiteren Ausführungen, die hier nicht interessieren, fügte ich noch hinzu: „Wenn jemand behauptet, daß die Anmut der Sprache unter der Übersetzung nicht leidet, dann möge er einmal Homer wörtlich ins Lateinische übertragen, ja noch mehr, er gebe ihn doch in seiner Sprache in Prosa wieder! Das Ganze wird zu einer lächerlichen Komödie, und der größte Dichter wird zum Stotterer herabgewürdigt.“ 13
Terentius, Andria 17. ↩
Diese Einschränkung hat Hieronymus später wieder zurückgenommen (ep. 106, 3. 54. 55 ad Sunniam et Fretelam). Dies ergibt sich auch aus seiner Bibelübersetzung (vgl. Gr. II 109 f.). Vgl. zu dieser Stelle auch Schade, Die Inspirationslehre des hl. Hieronymus. Freiburg 1910, 138. ↩
Vgl. Cie., De offic. II 24, 87; Quintilian, Instit. orat. X 5, 2. Alle diese Übersetzungen gingen verloren bis auf das Vorwort zu den beiden Reden „De optimo genere oratorum“. ↩
Cicero, De opt. gen. orat. 5, 13 f. ↩
Cicero, De opt. gen. orat. 7, 23. ↩
Horaz, Ep. II 3, 133 f. ↩
Publ. Terentius Afer (185—159 v. Chr.) ist weniger Übersetzer des Menander als selbständiger Bearbeiter des Originals (nach Caesar „dimidiatus Menander“; vgl. Suet., Vita Terentii 7). ↩
Menander aus Athen (341—290 v. Chr.), der bedeutendste Vertreter der neueren griechischen Komödie, verfaßte über hundert Stücke, die uns zum Teil in den Überarbeitungen des Plautus und des Terentius erhalten blieben. ↩
T. Maccius Plautus (ca. 254—184 v. Chr.), römischer Lustspieldichter, Nachahmer der neueren attischen Komödie. ↩
Statius Caecilius († 168 v. Chr.), der größte römische Komödiendichter, wie ihn Cicero nennt (De opt. gen. orat. 1, 2), bearbeitete hauptsächlich Stücke des Menander (erhalten sind nur Bruchstücke). ↩
„Verkehrter Eifer“ oder „schlechte Nachahmung“. ↩
Helm, Die Chronik des Hieronymus I. Leipzig 1913, 1 f. ↩
Ebd. 4. ↩
