6.
Ich wollte nur den Beweis erbringen, daß ich immer und schon von Jugend an gegen ein Kleben am Worte war und nach dem Sinne übersetzte. Aber vielleicht ist mein Urteil in dieser Frage nicht von großem Gewichte. Dann lese man bloß das kurze Vorwort zu dem Buche, welches das Leben des hl. Antonius beschreibt. Da heißt es: „Eine wörtliche Übersetzung aus einer Sprache in eine andere verdunkelt den Sinn ähnlich, wie das S. b273 üppig wuchernde Unkraut die Saat erstickt. Da die Sprache von den Fällen und Bildern abhängig ist, so bedarf es zuweilen eines zeitraubenden Umweges, um, dazu noch ungenau, auszudrücken, was man mit wenig Worten hätte sagen können. Dieser Gefahr bin ich ausgewichen und habe auf deine Bitte hin das Leben des hl. Antonius so übersetzt, daß am Sinne nichts fehlt, wenn ich auch mitunter vom Wortlaut abgegangen bin. Mögen andere an den Silben oder gar an den Buchstaben haften, du trachte darnach, den Sinn zu erfassen!“ 1 Der Tag wäre nicht lang genug, wollte ich alle zu Zeugen aufrufen, welche sich um eine sinngemäße Übersetzung bemüht haben. Für den Augenblick mag es genügen, auf den Bekenner Hilarius hinzuweisen. Er hat Homilien zu Job und sehr viele Traktate über die Psalmen aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt. 2 Aber er versteifte sich nicht auf den toten Buchstaben und plagte sich nicht herum mit einer sklavischen Übersetzung, wie sie ungebildete Leute wohl anfertigen. Vielmehr machte er den Sinn zu seinem Gefangenen, den er mit dem Rechte des Siegers in seine Sprache hinüberführte.
Evagrius, Prol. in vitam St. Antonii (M PG XXVI 834). ↩
Die „tractatus super Psalmos“ (M PL IX 231—908) benutzen Origenes, sind aber keineswegs eine Übersetzung, obwohl Hieronymus wiederholt von einer solchen spricht (B. III 374. Unsere Stelle fehlt unter den Belegen). Über die „tractatus in Job“ läßt sich nichts sagen, da sie nicht auf uns gekommen sind (B. III 375). ↩
