11.
Es würde zu weit führen, darüber zu reden, wie vieles die Septuaginta aus eigenem eingeschaltet, wie vieles sie weggelassen haben. In den in der Kirche benutzten Handschriften ist dies durch kleine Spieße und Sterne kenntlich gemacht. Wenn wir bei Isaias lesen: „Glücklich, wer Kinder in Sion und Hausgenossen in Jerusalem hat“, 1 dann pflegen die Hebräer uns auszulachen, wenn sie es hören. Dasselbe ist der Fall bei der Amosstelle, wo wir nach der Schilderung des Wohllebens der Israeliten lesen: „Und sie hielten dies für etwas Dauerndes, nicht aber für vorübergehend.“ 2 In Wirklichkeit sind diese Aussprüche nur rhetorische Aufmachung und erinnern an Ciceros Redeweise. Aber welche Stelle sollen wir da zu den authentischen Büchern einnehmen, welche diese und andere ähnliche Zusätze nicht kennen? Wollte ich sie alle anführen, dann bedürfte es unzähliger Bände. Übrigens bezeugen, wie ich bereits gesagt habe, die Sternchen, wie viel sie weggelassen haben. Auch aus unserer Übersetzung kann es der sorgfältige Leser feststellen, wenn er sie mit der alten vergleicht. Und dennoch hat sich die Septuaginta verdientermaßen Hausrecht in den Kirchen erworben, einmal weil sie die erste Übersetzung ist und bereits vor der Ankunft Christi im Gebrauche war, dann aber auch, weil sie von den Aposteln benutzt wurde, allerdings nur insoweit sie nicht vom Hebräischen abweicht. 3 S. b284 Aquila aber, der jüdische Proselyt und sklavische Übersetzer, 4 der nicht nur die Worte, sondern auch die Etymologie der Wörter zu übertragen suchte, wird mit Recht von uns abgelehnt. Wer von uns könnte es lesen und dem Sinne nach verstehen, wenn er statt Getreide, Wein und Öl die Worte χεῦμα, ὀπωρισμόν, στιλπνότητα 5 setzt, was etwa hinauskommt auf „Ausgießung, Beobstung, Glänzendes“? Die Hebräer kennen nicht nur einen Artikel, sondern auch Partikeln, die vor den Artikel treten. Und da übersetzt nun dieser Kleinigkeitskrämer auch noch die Silben und die Buchstaben und schreibt σὺν τὸν οὐρανὸν καὶ σὺν τὴν γῆν, 6 was der griechischen und der lateinischen Sprache in gleicher Weise zuwider ist, wie sich aus unserer Art zu reden sofort ergibt. Viele Dinge lassen sich ganz gut im Griechischen sagen, stoßen aber den Lateiner ab, wenn sie wörtlich übertragen werden. Umgekehrt gibt es einen Mißton, wenn das, was sich im Lateinischen tadellos anhört, genau ins Griechische übersetzt wird.
Is. 31, 9 (LXX). ↩
Am. 6, 5 (LXX). ↩
Die hier gemeinten Gegner hatten auch Hieronymus wegen seiner Übersetzung des A. T. angegriffen und ihm den Vorwurf gemacht, die LXX herabzusetzen. Hiergegen wehrt er sich in seiner Streitschrift gegen Rufin (c. Ruf. II 24 ff. — M PL XXIII 468 ff.). Auch hier benutzt er die Gelegenheit, um auf die Mängel der LXX aufmerksam zu machen, zugleich aber auch, um seiner Hochschätzung vor dieser Übersetzung Ausdruck zu verleihen. ↩
Vgl. BKV II. Reihe XVI 39 Anm. 2. ↩
Deut. 7, 13. ↩
Die Präposition אֵת „mit“ ist auch Akkusativpartikel. Wo sie als solche vorkommt, übersetzt sie Aquila ganz sinnlos mit „σύν“, wie hier an Gen. 1, 1 gezeigt wird. ↩
