Siebenter Artikel. Wir müssen für andere beten.
a) Das wird bestritten. Denn: I. Wir müssen dem Beispiele des Herrn folgen, der da betete: „Unser tägliches Brot gieb uns heute;“ also nicht den anderen. II. Man betet, um erhört zu werden. Eine Bedingung dafür ist aber die, daß man für sich selbst bete; weshalb zu Joh. 16. (Si quid petieritis) Augustin (102. in Joan.) bemerkt: „Alle werden erhört für sich selbst, nicbt aber für alle; wonach hier nicht einfach gesagt ist: Er wird geben, sondern: Er wird euch geben.“ III. Sind die anderen böse, so ist es uns verboten für sie zu beten, nach Jerem. 7.: „Du also bete nicht für dieses Volk … und widerstehe mir nicht; denn ich werde dich nicht erhören.“ Für die Guten aber brauchen wir nicht zu beten; denn dieselben beten für sich selber und werden sonach erhört. Also müssen wir nicht für andere beten. Auf der anderen Seite ermahnt Jakobus (5, 16.): „Betet für einander, daß ihr gerettet werdet.
b) Ich antworte, wonach wir verlangen dürfen, darum dürfen wir bitten. Wir sollen aber Gutes nicht für uns allein verlangen, sondern auch für andere; denn dies gehört zur Nächstenliebe. Also erfordert die heilige Liebe, daß wir füreinander beten. Deshalb sagt Chrysostomus (hom. 14. in Matth. op. imp.): „Für sich zu beten, das erfordert die Notwendigkeit; für andere zu beten, das erfordert die Liebe. Süßer vor Gott aber ist das Gebet, welches von der Liebe des Bruders, als jenes, das von der Notwendigkeit eingegeben ist.“
c) I. Chrysostomus erklärt zum Vaterunser: „Deshalb sagen wir nicht: Mein Vater; und nicht: Gieb mir; sondern: Gieb uns, und: Unser Vater, weil der Herr nicht wollte, daß jeder bloß privatim für sich bete; der eine soll für alle beten, wie der Herr in Sich, dem Einen, alle getragen hat.“ II. Daß man für sich bete, wird als Bedingung des Gebetes angesetzt; nicht zwar als eine notwendige für diese Wirkung, daß man damit ein Verdienst erwerbe, sondern wegen der Sicherheit des Erhörtwerdens. Denn bisweilen erlangt man nichts, wenn man für einen anderen betet, mag man auch fromm und beharrlich beten und für das zum Heile Zugehörige, weil von seiten desjenigen, für den gebetet wird, ein Hindernis besteht. Deshalb heißt es Jerem. 15.: „Wenn Moses und Samuel vor mir ständen, meine Seele ist nicht mit diesem Volke.“ Nichtsdestoweniger ist ein solches Gebet verdienstvoll für den betenden, wenn dieser aus Liebe betet, nach Ps. 34.: „Mein Gebet wird in meinen Busen zurückkehren.“ III. Für die Sünder muß man beten, daß sie sich bekehren; für die Guten, daß sie beharrlich seien und geistig fortschreiten. Nicht aber für alle Sünder werden die betenden erhört, sondern nur für einige; für jene nämlich, die vorausbestimmt sind zum ewigen Leben, nicht für jene, die voraus gewußt sind für den ewigen Tod. So auch folgt der Mühe, die wir haben, um unsere Brüder zu bessern, ihre Wirkung nur in den Vorherbestimmten, nach Ekkle. 7.: „Niemand kann bessern, wen Gott zurückgewiesen.“ Und deshalb sagt Johannes (I. 5, 16.): „Wer da weiß, daß sein Bruder sündige in einer Sünde, die nicht zum Tode ist, bete; und das Leben dessen, der nicht gesündigt hat zum'Tode, wird ihm geschenkt werden.“ Weil wir aber (Aug. de corr. et grat. 15.) von niemandem auf Erden wissen, ob er vorherbestimmt ist zum Leben oder vorhergewußt zum Tode, so dürfen wir niemandem die Wohlthat des Gebetes oder der Besserung entziehen. Für die Gerechten müssen wir ebenso beten: 1. weil vieler Gebete leichter erhört werden, so daß zu Röm. 15. (adjuvetis me orationibus vestris) die Glosse sagt: „Der Apostel bittet auch die geringeren, daß sie für ihn beten; viele Geringe, zusammen verbunden, werden etwas Großes und vieler Gebet kann unmöglich unerhört bleiben;“ — 2. damit von vielen Gott für die den Gerechten verliehenen Gnaden gedankt werde, was vielen nützlich ist, nach 2. Kor. 1.; — 3. damit die Größeren nicht stolz werden, wenn sie bedenken, sie haben die Fürbitte der Kleinen notwendig.
