Elfter Artikel. Die Heiligen im Himmel beten für uns.
a) Dagegen spricht: I. Die Thätigkeit jemandes ist in höherem Grade für diesen selbst verdienstvoll wie für andere. Die Heiligen aber beten nicht und verdienen nicht für sich; also auch nicht für andere. II. Die Heiligen sind Gott durchaus gleichförmig; denn sie wollen nichts außer was Gott will. Was Gott aber will, erfüllt sich immer. III. Wie die Heiligen höher stehen als wir, so auch die Seelen im Fegfeuer; denn sie können nicht mehr sündigen. Diese letzteren aber beten nicht für uns; also auch nicht die Heiligen. IV. Im vorausgesetzten Falle müßte die Fürbitte der höheren Heiligen wirksamer sein. Also wäre es überflüssig, die niedrigeren anzurufen. V. Die Seele des Petrus ist nicht Petrus. Also müßten wir im jetzigen Zustande der vom Leibe getrennten Seelen nicht den heiligen Petrus anrufen, sondern die Seele des heiligen Petrus; was die Kirche nicht thut. Also beten, zumal vor der Auferstehung, die Heiligen nicht für uns. Auf der anderen Seite heißt es 2. Makk. ult. 4.: „Dieser ist es, der viel betet für das Volk und für die ganze heilige Stadt, Jeremias, der Prophet Gottes.“
b) Ich antworte, nach Hieronymus sei es der Irrtum des Vigilantius gewesen, daß „während wir leben, wir wechselseitig füreinander beten können; sind wir aber gestorben, so kann kein Gebet mehr für einen anderen erhört werden, zumal ja die Märtyrer die Rache an ihrem Blute trotz ihres Beschwörens nicht erlangen können.“ Das ist jedoch durchaus falsch. Denn da das Gebet für einen anderen von der Liebe ausgeht, so können die Heiligen um so mehr den Erdenpilgern helfen, je größer ihre Liebe ist; und ihre Gebete sind um so wirksamer, je näher sie Gott stehen. Dies nämlich ist in der göttlichen Ordnung begründet, daß die Vorzüge der höherstehenden Wesen in die niedriger stehenden sich ergießen; wie das Licht der Sonne durch die Luft hin sich ergießt. Deshalb heißt es von Christus (Hebr. 7.): „Er trat kraft seiner selbst zu Gott heran, um für uns zu flehen;“ und sagt Hieronymus (contra Vigilantium): „Wenn die Apostel und Märtyrer, noch im Körper befindlich, als sie also für sich noch besorgt sein mußten, für andere beten; um wie viel mehr, nachdem sie Kronen, Siege, Triumphe erlangt haben!“
c) I. Den Heiligen im Himmel fehlt nichts, wie die Herrlichkeit des Körpers; und um diese beten sie. Für uns aber beten sie, infofern uns noch die letzte Vollendung der Seligkeit abgeht; und ihre Gebete haben wirksame Kraft auf Grund der vorhergehenden Verdienste und auf Grund, des göttlichen Wohlgefallens. II. Die Heiligen erlangen das, was Gott beschlossen hat, auf Grund ihrer Gebete zu geben; und sie flehen um das, wovon sie meinen, es sei nach göttlichem Willen durch ihre Gebete zu erlangen. III. Wegen der Strafen, die sie leiden, sind die Seelen im Fegfeuer tiefer wie wir; und danach sind sie nicht im Zustande, daß sie für andere beten, sondern vielmehr daß man für sie bete. IV. Gott will, daß alle höher Stehenden den tiefer Stehenden helfen; und deshalb muß man nicht allein die größeren Heiligen anrufen, sondern auch die kleineren; sonst bliebe nur die göttliche Barmherzigkeit anzurufen übrig. Bisweilen jedoch ist die Anrufung eines geringeren Heiligen wirksamer, weil derselbe entweder mit mehr Andacht angerufen wird oder weil Gott dessen Heiligkeit darthun will. V. Weil die Heiligen es hier auf Erden verdienten, daß sie für uns bitten, deshalb nennen wir sie mit jenen Namen, mit denen man sie hier nannte; so sind sie uns vertrauter und bekannter; und ebenso auf Grund Glaubens an die Auferstehung, nach Exod. 3.: „Ich bin der Gott Abrahams etc.“
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