Fünfzehnter Artikel. Das Gebet ist verdienstlich.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Alles Verdienst kommt von der Gnade. Das Gebet aber geht der Gnade vorher, nach Luk. 11.: „Euer Vater im Himmel wird den guten Geist geben jenen, die Ihn darum bitten.“ II. Verdient das Gebet bei Gott, so vor Allem dies, daß das Erbetene man erlange. Dies ist aber selbst bei den Gebeten von Heiligen nicht der Fall, wie Paulus nicht erhört wurde, als er bat, Gott möge den Stachel des Fleisches von ihm nehmen. III. Das Gebet hat seine Grundlage zuvörderst im Glauben: „Er möge im Glauben fordern und nicht zweifeln,“ sagt Jakobus (1, 6.). Der Glaube aber allein genügt nicht zum Verdienen. Auf der anderen Seite sagt die Glosse zu Ps. 34. (Et oratio mea in sinu meo convertetur): „Wenn mein Gebet jenen nichts nützte, ich bin um meinen Lohn nicht betrogen.“
b) Ich antworte, das Gebet habe neben der Wirkung der geistigen Erquickung die Wirkung, daß es verdient; und daß es erlangt, wonach der betende trachtet. (Vgl. oben.) Insoweit das Gebet nun von der heiligen Liebe ausgeht, der Wurzel alles Verdienstes, wohnt ihm die Wirkung inne, daß es bei Gott verdient. Es geht aber von der Liebe aus vermittelst der Gottesverehrung unter Begleitung anderer Tugenden, zumal der Demut und des Glaubens. Denn die Gottesverehrung bringt das Gebet selber unmittelbar dar; die Liebe vollendet das innere Verlangen, dessen Erfüllung das Gebet sucht; der Glaube macht uns sicher, daß wir von Gott erhalten können das, was wir wollen; die Demut erkennt das eigene Bedürfnis an. Die Andacht, welche ebenfalls notwendig ist, gehört als Thätigkeit der Gottesverehrung an. Die Wirksamkeit aber im Erreichen des Gesuchten hat das Gebet aus der Gnade Gottes, zu dem wir beten und der uns zum Beten anleitet. Deshalb sagt Augustin (serm. 5. de verb. Dom.): „Er würde uns nicht ermähnen, daß wir beten sollen, wenn Er nicht uns geben wollte;“ und Chrysostomus: „Niemals. verweigert Gott Wohlthaten demjenigen, der da bittet; denn Er flößt es ein und muntert auf, daß die betenden nicht müde werden in ihrer Hingebung.“
c) I. Das Gebet ohne heiligmachende Gnade ist nicht verdienstlich, wie dies auch kein anderer Akt ist. Trotzdem aber geht das Gebet, welches die heiligmachende Gnade bittet und sie erlangt, wieder von einem Gnadengeschenke aus; denn „das Beten selbst ist ein Geschenk Gottes,“ sagt Augustin. (De Persev. 23.) II. Bisweilen richtet sich auf etwas Anderes in erster Linie das mit dem Gebete verbundene Verdienst und auf etwas Anderes der mit dem Gebete verbundene Wunsch. Denn das Verdienst dient vorzugsweise der ewigen Seligkeit; und der im Gebete ausgedrückte Wunsch zielt manchmal auf andere Dinge. Will also wer betet für sich etwas, was ihm nicht zur Seligkeit nützlich ist, so verdient er dieses nicht; er verliert vielmehr alles Verdienst, wenn er von Gott z. B. die Vervollständigung einer Sünde erbittet. Bisweilen aber ist das Erbetene zwar nicht zum Heile notwendig; aber doch auch nicht selbigem entgegen; und dann kann der betende durch sein Gebet wohl das ewige Leben verdienen, aber nicht das verdient er zu erhalten, worum er bittet. Deshalb sagt Augustin (in libro Sententiarum Prosperi): „Der da im Glauben zu Gott fleht um der Lebensnotdurft willen, wird manchmal erhört und manchmal nicht erhört; Beides aus Barmherzigkeit. Denn was dem kranken notwendig ist, das weiß der Arzt besser wie der kranke.“ So wurde z. B. Paulus nicht erhört. Ist jedoch, worum er bittet, nützlich für des betreffenden Menschen Heil und gehört es zu diesem, dann verdient er dieses zu erhalten nicht nur durch das Gebet, sondern auch durch andere gute Werke; und er erhält es ohne Zweifel, freilich zu seiner Zeit. Denn „Manches wird dem betenden nicht verweigert, aber es wird verschoben bis zur geeigneten Zeit.“ (August. 102. in Joan.) Dabei ist die Bedingung, daß der betende beharrlich ist, wie Basilius sagt (in constit. mon.): „Deshalb betest du bisweilen und empfängst nicht; weil du schlecht gefordert hast, nämlich entweder ohne Glauben oder leichthin oder das was dir nicht heilsam ist oder weil du zu beten aufgehört hast.“ Weil aber der Mensch das ewige Leben nicht als einen seinen Werken durchaus gleichwertigen Lohn (ex condigno) für sich selbst verdienen kann, so kann er dies auch nicht für die anderen; und deshalb wird er nicht immer erhört, wenn er für einen anderen betet. Danach werden vier Bedingungen aufgezählt, welche zusammentreten müssen, damit einer immer erlange, worum er bittet: daß er nämlich für sich bete, dann um das zum Heile Notwendige, ferner frommgläubig und beharrlich. III. Soweit es auf das Erlangen des Erbetenen ankommt; mit Rücksicht auf das Verdienst, das immer von der Liebe abhängt; hat das Gebet zur Grundlage den Glauben, kraft dessen er die Kenntnis hat von Gottes Allmacht und Güte.
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