Vierzehnter Artikel. Über die Länge des Gebetes.
a) Das Gebet darf nicht lang sein. Denn: I. Matth. 6. heißt es: „Wenn ihr betet, so machet nicht viele Worte.“ II. Das Gebet trägt vor und erklärt das innere Verlangen. Dieses ist um so heiliger, je mehr es auf Eines gerichtet ist, nach Ps. 26.: „Eines habe ich gesucht, ich werde es vom Herrn erlangen.“ Also je kürzer Gebet, desto angenehmer ist es Gott. III. Man soll nicht über die Grenze hinausgehen, die Gott selber vorgeschrieben hat, nach Exod. 19.: „Beschwöre das Volk, es solle ja nicht die vorgesteckten Grenzen überschreiten, um Gott etwa zu sehen; damit nicht eine große Menge untergehe.“ Die Grenze des Gebetes aber ist gesteckt im Vaterunser. IV. Auf der anderen Seite muß man immer beten: „Betet ohne Unterlaß,“ heißt es 1. Thess. 5.
b) Ich antworte, wir können 1. das Gebet an sich betrachten und mit Bezug auf seine Ursache. Die Ursache des Gebetes aber muß sein das Verlangen der heiligen Liebe; und dieses muß immer in uns sich finden, entweder in thatsächlicher Wirksamkeit oder der Kraft nach, da die Kraft der Liebe in uns bleibt in Allem, was wir aus Liebe thun und „wir Alles thun müssen zur Ehre Gottes.“ (1. Kor. 10.) Danach also muß das Gebet ein unaufhörliches sein. Deshalb schreibt Augustin an Proba: „Im Glauben, in der Hoffnung und der Liebe beten wir beständig mit ununterbrochenem Verlangen.“ Das Gebet an sich selbst betrachtet aber kann nicht ununterbrochen sein, weil der Mensch noch andere Beschäftigungen hat. Deshalb sollen wir nach Augustin (l. c.) „zu gewissen Stunden und Zeiten zu Gott beten und zwar mit Worten, auf daß wir durch solche Zeichen uns selber ermahnen und damit uns selbst bekannt werde, wie weit wir in diesem Verlangen Fortschritte machen und daß wir zu solchem Fortschritte uns selber aufstacheln.“ Der Umfang einer Sache aber muß dem Zwecke entsprechen, wie das Maß des Trinkens nach der Gesundheit sich bemißt. So lange also soll das Gebet andauern als es genügt und nützlich ist, um die Glut des innerlichen Verlangens anzufachen. Überschreitet es dieses Maß, so daß man ohne Überdruß nicht gut fortfahren kann, so muß man nicht weiter beten. Darum sagt Augustin (l. c.): „Man sagt, die Brüder in Ägypten hätten häufig Gebete und diese seien sehr kurz wie gewissermaßen emporgeschnellte Pfeile; damit nicht die auf Gott gerichtete Absicht, stets aufmerksam emporgehoben, welche dem betenden so sehr notwendig ist, durch zu lange Gebete leer werde und stumpf; damit zeigen sie selber hinreichend, daß diese Absicht nicht abgestumpft werden soll, wenn sie doch nicht länger dauern kann; und daß sie nicht allzu schnell zu unterbrechen ist, so lange sie dauert.“ Und dies gilt wie beim Einzelgebet mit Rücksicht auf die besondere gute Absicht, so beim gemeinsamen öffentlichen Gebet mit Rücksicht auf die Andacht des Volkes.
c) I. Darauf antwortet Augustin (l. c.): „Es ist dies nicht dasselbe: viele Worte machen im Gebete, und lange beten. Etwas Anderes sind viele Worte und etwas Anderes ein langandauernder Liebesaffekt. Denn vom Herrn selbst liest man, Er habe die ganze Nacht im Gebete zugebracht und daß Er längere Zeit betete, um uns ein Beispiel zu geben.… Fern seien vom Gebete viele Worte; aber reiches Flehen wohne ihm inne, wenn die feurige Absicht andauert. Wir sollen nicht viele Worte machen, das bedeutet, wir sollen nicht mit überflüssigen Worten eine notwendige Sache im Gebete betreiben; viel flehen aber ist, an die Thüre dessen, zu dem wir flehen, mit langer und frommer Aufregung des Herzens klopfen. Dies thut man zumeist mehr mit Seufzen wie mit Worten; mehr mit Thränen wie mit Reden.“ II. Die Länge des Gebetes besteht nicht darin, daß vielerlei erfleht wird; sondern daß der Liebesaffekt im Innern andauere. III. Der Herr wollte mit dem Vaterunser nicht sagen, wir sollten uns bloß dieser Worte bedienen; sondern unser Verlangen soll sich auf die Gegenstände richten, welche wir mit diesen Worten erflehen; mögen wir sonst mit welch immer für Worten unser Verlangen vortragen. IV. Jemand betet beständig (Luk. 18, 1.; Thess. 5, 17.), entweder indem sein Verlangen ein beständiges ist; oder weil er nicht unterläßt, den festgesetzten Zeiten und Stunden zu beten; oder wegen der Wirkung, weil er nach dem Gebete viel gesammelter ist; oder weil sein Gebet für andere zur Folge hat, daß diese für ihn beten, wenn auch er selbst ausruht.
