10. Brief des P. Leo an die Bischöfe der viennensischen Provinz. 1
In der Angelegenheit des Bischofs Hilarius von Arles.
Einleitung
Dieser Brief führt uns auf die schon bei den Päpsten Zosimus, Bonifacius I. und Cölestinus I. besprochene Ausnahmsstellung des Bischofs von Arles zu den übrigen Bischöfen Galliens zurück. Wir sahen, wie der Bischof Patroclus von Arles sich im J. 417 vom P. Zosimus teils die Bestätigung angeblicher alter Rechte, teils die Verleihung neuer Privilegien, eine Art Primatial oder Vicariats-Würde über ganz Gallien erschlich,2 wie P. Zosimus diese Oberhoheit des Bischofs von Arles allen Beschwerden verschiedener gallischer Bischöfe gegenüber aufrecht erhielt,3 wie jedoch schon des Zosimus nächster Nachfolger Bonifacius I.,4 nachdem er die Ansprüche des Patroclus als unbegründete und unerweisbare erkannt, jene ausserordentlichen Machtbefugnisse cassirte und auch P. Cölestinus I. 5 diesen Entscheid seines Vorgängers bestätigte. Nichtsdestoweniger S. 64 suchte Hilarius, Bischof von Arles seit dem J. 429, seinem Stuhle die Primatialgewalt über ganz Gallien zu verschaffen und setzte die von seinen Vorgängern gemachten, teilweise geduldeten Übergriffe in fremde Kirchenprovinzen fort. Hierbei kam ihm zunächst seine eigene Persönlichkeit zu Statten; denn er genoß wegen seiner Askese, seines Eifers für den Glauben und die Disziplin, wegen seiner Beredsamkeit großes Ansehen, so dass ihm einige Metropoliten aus Freundschaft gegen seine Person oder aus Ehrfurcht gegen sein Verdienst ihre Rechte einräumten; er hatte aber auch den damals in Gallien allmächtigen Patricier Aëtius und den Präfectus Prätorio zu Freunden, die ihm auf seinen Reisen, welche er als Visitator durch ganz Gallien unternahm, ein Geleite von Soldaten gaben; es konnte dies in jenen Zeiten der Umwälzungen oft nötig sein. Als Hilarins im Laufe seiner Visitationen nach Besançon kam, erhob man bei ihm Klage gegen Celidonius, den Bischof dieser Stadt: er sei gegen die Regeln geweiht, weil er als Laie eine Witwe geheiratet und als Magistratsperson Todesurteile gefällt habe. Hilarius versammelte, wahrscheinlich zu Besançon selbst, eine Synode; Celidonius wurde als Bigamus entsetzt und ein anderer, Namens Importunus, an seine Stelle geweiht. Celidonius appellierte an den Papst und begab sich nach Rom. Um dieselbe Zeit beging Hilarius noch einen zweiten Akt unzeitiger und ungerechter Härte; als er nämlich vernahm, dass Projectus, Bischof einer nicht zur Provinz von Arles gehörigen Stadt, krank sei, begab er sich unvermutet dahin und weihte, als ob die Kirche schon erledigt gewesen wäre, einen andern an dessen Stelle; Projectus aber genas und beklagte sich gleichfalls beim Papste über dieses Verfahren. Als Hilarius sah, dass Celidonius nach Rom gegangen war, begab auch er sich trotz der rauhen Winterszeit ebendahin. Papst Leo versammelte eine Synode, wo Hilarius seine Beweise gegen Celidonius vorbringen sollte; aber er konnte nich zeigen, dass die Frau des Celidonius eine Witwe gewesen sei, und auf was er sich berief, das waren keine Tatsachen, S. 65 sondern Gewissensgeheimnisse; er floh endlich schimpflicher Weise von Rom. Nach Arles zurückgekehrt suchte er auf jede Weise den Papst zu versöhnen und schrieb an ihn mehrere Briefe; zuerst sandte er den Priester Ravennius, der später sein Nachfolger wurde, dann 2 Bischöfe; auch der Präfect Auxiliaris von Gallien verwendete sich für ihn beim Papste. Celidonius aber wurde nach den gerichtlichen Zeugenaussagen unschuldig befunden und auf seinen Sitz wieder eingesetzt, ebenso Projectus, die von Hilarius vorgenommene Weihe für ungültig erklärt, dem Hilarius selbst aber wurde vom Papste das Metropolitanrecht entzogen und auch die von ihm in Anspruch genommene Jurisdiktion über die Provinz von Vienne; nur aus Gnade des apostolischen Stuhles wird ihm sein Bistum belassen. Diese Entscheidungen nun der Synode mit den entsprechenden Ermahnungen sandte Leo im vorliegenden Briefe an die Bischöfe der viennensischen Provinz oder, wie einzelne alte Handschriften haben, an alle Bischöfe der Provinzen von Vienne und Maxima Sequanorum, von welch' letzterer Besançon die Hauptstadt war; ja es ist fast für gewiss anzunehmen, dass dieses Schreiben in gleichen Exemplaren wegen seines fast alle Provinzen Galliens betreffenden Inhaltes auch an alle Bischöfe jener Provinzen geschickt wurde, die an den im Briefe erzählten Vorgängen und getroffenen Entscheidungen Anteil hatten. Zugleich mit seinem Schreiben sandte der Papst auch einen Erlass des Kaisers Valentinianus III. vom 8. Juli 445, worin der Kaiser zum Gehorsam gegen die bezüglich Galliens getroffenen Verfügungen auffordert; aus dem Datum dieses kaiserlichen Edictes können wir auch das des päpstlichen Briefes entnehmen.
Inhalt
*1. Die Kirche ist nach der Anordnung Christi auf die Festigkeit des Petrus gebaut von welcher man sich nicht entfernen darf. Jener verletzt S. 66 sie, welcher dessen Gewalt zu schmälern sucht.
2. (Der Papst) beschuldigt den Hilarius als einen Störer des Standes der Kirchen und der Eintracht.
3. Er erklärt, dass der von Hilarius abgesetzte Celidonius nach wiederholter Untersuchung wieder auf seinen Stuhl eingesetzt worden sei.
4. Bischof Projectus, für welchen, weil er krank war, derselbe Hilarius einen andern eingesetzt hatte, wurde in seinen früheren Stand zurückversetzt.
5. Die Ordination eines Provinzialbischofs ist dem Metropoliten vorzubehalten.
6. Ohne Zustimmung des Klerus und der Gemeinde und ausser dem gesetzlichen Tag darf niemand ordiniert werden.
7. Dem Hilarius ist die Würde eines Metropoliten und die Gewalt über die Provinz von Bienne genommen.
8. Niemand darf um einer geringen Ursache willen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden.
9. Ohne Zustimmung des Leontius, des ältesten Bischofs, darf kein Concil einer andern Provinz angesagt werden.*
Den geliebtesten Brüdern, allen in der Viennensischen Provinz eingesetzten Bischöfen (sendet) Leo, Bischof von Rom, (seinen Gruß). 6
*Baller.* I. p. 632 u. II. p. 1315 (ebend. p. 753-898 die V. dissert. Quesnelli pro S. Hilario u. p 899-1068 die Observation. Baller. in hanc dissert.); Mansi V. p. 1243 auch vei Quesnell unter Num. 10 angeführt und bei Cacciari* II. p. 37. ↩
S. den 1. Brief des P. Zosimus in Papstbriefe III. Bd. S. 228 ↩
S. den 6., 7., 8., 12. u. 13. Brief des P. Zosimus a. a. O. S.254 ff. u. 271 ff. ↩
S. den 13. Brief des P. Bonifacius I. a. a. O. S. 342. ↩
S. im 4. Brief desselben n. 6. a. a. O. S. 394. ↩
Sirmond sah Kodizes, in welchen unser Brief die Aufschrift hatte: „Den geliebtesten Brüdern, allen in den Provinzen Maxima Sequanorum und Vienne eingesetzten Bischöfen u. s. w.“ Diese Aufschrift verteidigen die Ballerini (II. p. 911) gegen Quesnell als authentisch und als Beweis dafür, dass Celidonius Bischof von Besançon war. ↩
