14. Brief des P. Leo an den Bischof Anastasius von Thessalonich1
Einleitung
War es Ehrerbietung und Gehorsam gegen den Bischof Anastasius, als Vicar des apostolischen Stuhles, wozu der Papst die Bischöfe Illyriens stets in seinen Briefen ermahnte, so war es andererseits Mäßigung und Rücksichtnahme auf die bischöfliche Würde, was Leo dem Anastasius bringend empfahl, was bei diesem um so notwendiger erschien, als er durch sein schroffes und hartes Vorgehen gegen die Bischöfe seines Vicariates wenig geeignet schien, die Abneigung der Bischöfe Illyriens gegen das Vicariat und mittelbar auch gegen Rom selbst, sowie deren Hinneigung zum Bischofe von Konstantinopel zu beheben. Ein grober Mißbrauch der Amtsgewalt von Seite des Anstasius war es auch diesmal, was den Papst zu vorliegendem Schreiben veranlaßte. Anastasius nämlich hatte den Bischof Atticus von Nicopolis, der sein Nichterscheinen auf einer S. 104 von Jenem nach Tessalonich berufenen Synode durch Krankheit entschuldigte, durch den Präsenten von Illyrien mit Gewalt und mitten im Winter nach Thessalonich bringen lassen. Dem Papste aber schrieb er von der anfängIichen Weigerung des Atticus, dann von dessen Erscheinen und einem schriftlichen Angelöbnis des Gehorsams; wie jedoch dieses Erscheinen des Bischofs bewirkt worden war, übergieng er mit Stillschweigen. Aber noch befanden sich die Diakonen des Anastasius, welche dessen Brief an Leo überbracht hatten zu Rom, als auch Atticus erschien und sich im Beisein dieser Diakonen bitter über die ihm angetane Gewalt beklagte; da die Diakonen des Anastasius diese Klage nicht zu widerlegen noch das Verfahren ihres Bischofs irgendwie zu rechtfertigen vermochten, erfolgte das gegenwärtige Schreiben, welches die Ballerini für kurz nach dem Jänner des J. 446 verfasst angeben, da jenes gewaltsame Vorgehen gegen Atticus in den Winter fiel und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach in den Winter vom J. 445 auf 446. Dass es nicht, wie Ouesnell meint, vor dem vorhergehenden Briefe an die Bischöfe Illyriens abgefasst sei, beweisen die Ballerini durch folgende Gründe: erstens sagt der Papst in c. 1. des vorhergehenden Schreibens, er wolle, dass ihnen (den Bischöfen Illyriens) seine Anordnungen durch einen Brief des Anastasius mitgeteilt werden, in diesem Briefe an Anastasius kein solcher Auftrag der Mitteilung entalten sei; zweitens erklärt Leo im c. 10 des Schreibens an Anastasius, es genüge, wenn aus jeder Provinz je zwei Bischöfe zur Synode kommen, dass diese von den Metropoliten bezeichnet und nicht über 15 Tage (auf der Synode) zurückgehalten werden sollen; hätte nun der Papst obigen Brief an die Bischöfe Illyriens nachher und nicht schon früher geschrieben, so würde er es sicher nicht unterlassen haben, sie von diesen präcisen dem Anastasius erteilten Instructionen in Kenntnis zu setzen, und nicht statt dessen mehr allgemein nur gesagt haben, es sei genug, wenn 2 oder 3 Bischöfe aus jeder Provinz erscheinen; drittens wird in c. 3. des Briefes an die Bischöfe S. 105 Illyriens gesagt, dass Anastasius an den Papst einen Bericht über die gesetzwidrigen Handlungen des Metropoliten von Achaja gesandt habe; wäre nun unser Brief gleichzeitig mit oder gar noch vor jenem geschrieben, so müsste in demselben von jenem Berichte Erwähnung geschehen; endlich zeigen die Worte des Papstes in c. 1. unseres Schreibens: „Du hast ja einen Überfluss an Ermahnungsschreiben von uns, durch welche wir dich häufig zu der bei allen Handlungen einzuhaltenden Mäßigung anwiesen“ unzweideutig an, dass zwischen ihm und Anastasius mehrere Briefe gewechselt wurden, welche also die im obigen Briefe an die illyrischen Bischöfe angedeuteten Punkte enthielten, aber verloren gingen.
Inhalt2
*1. Dass die Bischöfe von Thessalonich stets die Stelle des apostolischen Stuhles vertreten.3
2. Dass den Metropoliten ihre Rechte gewahrt bleiben sollen.
3. Dass von den Metropoliten nicht Laien, nicht zweimal Verheiratete, nicht Männer von Witwen, sondern Tadellose zu Bischöfen ordiniert werden sollen.
4. Dass den Subdiakonen die fleischliche Ehe verboten werde.
5. Dass niemand gegen den Willen (der Gemeinde) zum Bischof ordiniert werden soll.
6. Dass der Metropolit von Epirus4 über den Gewählten, welchen er zum Bischof ordinieren soll, an den Bischof von Thessalonich berichte; S. 106 ebenso sollen es bezüglich des erwählten Metropoliten die Provinzialbischöfe machen.
7. Dass jährlich zwei Concilien der Bischöfe gehalten werden sollen; wenn sich aber eine schwierige Angelegenheit ergeben hat, welche nicht durch das Urteil des Bischofs von Thessalonich entschieden werden kann, soll an den römischen Bischof berichtet werden.
8. Wenn ein Bischof eine Stadt verlässt und einen größeren Stuhl aus Ehrgeiz sucht, so wird er nicht nur (diese) Kirche nicht erlangen können, sondern auch der seinigen beraubt werden.
9. Dass niemand einen fremden Kleriker anzulocken oder zu behalten wagen dürfe, wenn sein Bischof nicht zustimmt.
10. Dass bei Berufung der Provinzialbischöfe von dem Bischofe zu Thessalonich Maß gehalten werden solle5
11. Dass die Bischöfe von der für das Concil festgesetzten Zeit nicht länger als 15 Tage zurückgehalten werden dürfen.6 S. 107
*Baller.* I. p. 681 u. II. p. 1352, Mansi V. p. 1276, bei Quesnell unter Num. 12., Cacciari II. P. 48 als Num. 12 (v. J 445; Hinschius p. 618* als Num. 49. ↩
Nach Dionysius Eriguus. ↩
Selbstverständlich zu ergänzen: in Illyrien. ↩
“In Epirus“ ist nur von Dionysius hinzugesetzt; im Briefe selbst gilt diese Vorschrift allen Metropoliten Illyriens. ↩
In der spanischen Sammlung und bei Pseudoisidor ist noch hinzugefügt: dass unter diesem Vorwande der bischöflichen Würde kein Schimpf angetan werde und nicht mehr als je 2 Bischöfe aus den Provinzen gesendet werden sollen, welche der Metropolit (zu schicken) für gut befunden. ↩
In der span. Sammlung und bei Pseudoisidor noch: und wenn über eine Angelegenheit ein Streit unter ihnen entstanden, alles dem römischen Bischofe unter Erklärung des Tatbestandes mitgeteilt werden solle, damit es von ihm nach Gottes Willen geordnet werde. ↩
