69. Brief des Papstes Leo an den Kaiser Theodosius.1
Einleitung
Zur Würdigung der überaus schwierigen Lage, in welcher sich Papst Leo gegenüber dem an ihn gestellten Ansuchen befand, die Ordination des Anatolius zum Bischöfe von Konstantinopel anzuerkennen und durch ein an diesen gerichtetes Gemeinschaftsschreiben zu bestätigen, möge man mit Arendt2 bedenken, dass er einerseits annehmen musste, dass Anatolius, da er die Genehmigung des Kaisers hatte, in mehr oder minder engem Verhältnisse mit Dioskorus und der demselben geneigten Partei am Hofe stand, und dass er vor allem die Irrtümer des Dioskorus in Bezug S. 324 auf die Lehre teilte. In dieser Beziehung konnte er ihm unmöglich seine Anerkennung zuteil werden lassen; auf der anderen Seite aber hatte er auch bei der unbestimmten Weise, in der sich Anatolius in seinem Schreiben ausgesprochen, durchaus keinen bestimmten Grund, ihn unchristlicher Lehren oder eines bösen Willens zu beschuldigen und deswegen seine Anerkennung zu versagen. Schien es demnach gefährlich, die Zustimmung zu geben, so andererseits ungerecht, sie zu verweigern. Es bedurfte mannigfacher, die Sache wohl überlegender Beratung, und wir sahen aus den in obigem Briefe an Ravennius gemachten Andeutungen, wie sehr ihn diese Angelegenheit damals beschäftigte; der Entschluß aber, den er fasste, begegnete allen Schwierigkeiten, wie er auch das konsequente Ergebnis kirchlicher Anschauung war. Er versagte nämlich dem Anatolius nicht seine Anerkennung, verlangte aber zuvor von ihm, dass er sich in entschiedener Weise für die kirchliche Lehre ausspreche; auch beehrt er ihn selbst noch mit keinem Antwortschreiben, sondern stellt diese Forderung im gegenwärtigen, an den Kaiser gerichteten Briefe.
Inhalt
*1. (Der Papst) lässt seine Zustimmung zu der Ordination des Anatolius als Bischof von Constantinopel in der Schwebe und begehrt von ihm ein Glaubensbekenntnis.
2. Er fordert, dass derselbe sich von der Gemeinschaft der Häretiker lossage, dem gemeinschaftlichen Glauben durch Unterschrift beitrete; er sendet Legaten und begehrt eine Synode in Italien.
Baller. I. p. 1005, Mansi VI. p. 83, bei Quesnell Num. 52, Cacciari II. p. 232, Num. 53. (zum 2. Male, denn auch der Brief an Ravennius hat die Num. 53; jedenfalls wollte Cacciari den Sprung von Num. 50 auf 52 korrigieren), Hinschius p. 603, Num. 33 (mit der aus der span. Sammlung entlehnten Aufschrift: [Brief] des P. Leo an den Kais. Theod., worin er schreibt, dass er erkennen wolle, was bezüglich der Menschwerdung des Sohnes Gottes von Anatolius, dem Bischofe v. Constantinopel, gelehrt wird, und dass in Italien ein allgemeines Concil gehalten werde). ↩
A. a. O. S. 257. ↩
