12. Genauere Darstellung der Irrlehren des Photinus, Apollinaris und Nestorius.
Hier wird vielleicht von mir verlangt, daß ich die Irrlehren der oben Genannten, nämlich des Nestorius, Apollinaris und Photinus, darlege. Das gehört zwar nicht zu der Sache, um die es sich hier handelt. Wir haben uns nämlich vorgenommen, nicht den Irrtümern einzelner Männer nachzugehen, sondern einige wenige Beispiele vorzubringen, aus denen klar und deutlich das hervorgeht, was Moses sagt, daß nämlich, wenn einmal ein kirchlicher Lehrer, und wäre es auch ein Prophet, in der Erklärung der Geheimnisse der Propheten etwas S. 183Neues in die Kirche Gottes einzuführen sucht, dies die göttliche Vorsehung zu unserer Versuchung geschehen läßt. [17] Es wird also nützlich sein, im Vorbeigehen kurz auseinanderzusetzen, was die oben genannten Häretiker glauben, nämlich Photinus, Apollinaris und Nestorius.
Die Lehre des Photinus ist folgende. Er sagt, Gott sei einzig und allein nach Art der Juden zu denken; er leugnet die Fülle der Dreifaltigkeit und behauptet, daß es weder eine Person des Wortes Gottes noch eine des Heiligen Geistes gebe; Christus aber läßt er nur Mensch sein und in Maria seinen Anfang nehmen1 . Und das ist seine bestimmte Lehre, daß wir nur die Person Gottes des Vaters und Christus nur als Menschen verehren dürfen. So Photinus.
Apollinaris aber rühmt sich, in der Einheit der Dreifaltigkeit [mit der katholischen Lehre] übereinzustimmen — doch auch dies tut er nicht in ganz richtigem Glauben —; in betreff der Menschwerdung des Herrn aber lästert er offen. Er sagt nämlich, im Fleische unseres Heilandes habe entweder gar keine menschliche Seele gewohnt oder doch nur eine solche, der Verstand und Vernunft fehlen. Aber auch das Fleisch des Herrn selbst ließ er nicht vom Fleische der heiligen Jungfrau Maria angenommen, sondern vom Himmel in die Jungfrau hinabgestiegen sein und, immer schwankend und zweifelnd, lehrte er bald, es sei mit Gott dem Worte gleichewig, bald, es sei von der Gottheit des Wortes geschaffen. Er wollte nämlich in Christus nicht zwei Naturen anerkennen, die eine göttlich, die andere menschlich, die eine vom Vater, die andere von der Mutter; vielmehr glaubte er, die Natur des Wortes selbst sei gespalten, als wenn der eine Teil derselben in Gott zurückgeblieben wäre, der andere aber sich in Fleisch verwandelt hätte. Während also die Wahrheit sagt, der eine Christus habe zwei Naturen, behauptete jener entgegen der Wahrheit, aus der einen S. 184Gottheit Christi seien zwei Naturen geworden. So also Apollinaris2 .
Nestorius aber, der an einer dem Apollinarismus entgegengesetzten Krankheit leidet, gibt zwar vor, zwei Naturen in Christus zu unterscheiden, führt aber unversehens zwei Personen ein und will in unerhörtem Frevel, daß es zwei Söhne Gottes gebe, zwei Christus, der eine Gott, der andere Mensch, der eine aus dem Vater, der andere aus der Mutter gezeugt. Und deswegen behauptet er, die heilige Maria sei nicht Gottes-, sondern Christusgebärerin zu nennen, weil nämlich aus ihr nicht jener Christus, welcher Gott ist, sondern jener, welcher Mensch war, geboren worden sei. Wenn aber jemand meint, derselbe spreche in seinen Schriften von einem Christus und lehre nur eine Person Christi, so traue er dem nicht blindlings3 . Denn entweder hat er dies nur zur Täuschung ersonnen, um durch das Gute S. 185desto leichter auch das Schlechte aufzuschwatzen, wie der Apostel sagt: Durch das Gute hat er mir den Tod gewirkt4 ; entweder also, wie ich sage, spricht er zum Zwecke der Täuschung an einigen Stellen seiner Schriften sich dahin aus, er glaube an einen Christus und an eine Person Christi, oder er meint wenigstens, gleich nach der Geburt der Jungfrau hätten sich die beiden Personen zu einem Christus vereinigt. Im letzteren Falle behauptet er doch dies, zur Zeit der jungfräulichen Empfängnis oder Geburt und noch einige Zeit später seien zwei Christus gewesen; Christus sei also zunächst als gewöhnlicher und bloßer Mensch geboren worden und noch nicht mit dem Worte Gottes in Einheit der Person verbunden gewesen und später sei dann die Person des [Fleisch] annehmenden Wortes auf ihn herabgekommen; wenn er also auch jetzt in der Herrlichkeit Gottes angenommen verbleibe, sei doch eine Zeitlang zwischen ihm und den übrigen Menschen kein Unterschied gewesen5 .
Von Christus lehrte Photinus, daß er nur ein mit übernatürlichen Kräften begabter Mensch, also nur ein Adoptivsobn Gottes, sei. ↩
Apollinaris lehrte, der Logos habe die Stelle des vous, d. h. der geistigen Seele, in Christus vertreten und Christus habe als Mensch nur eine animalische Seele; er ging also von der platonischen Triehotomie des Menschen aus, d. h. von der falschen Annahme, jeder Mensch habe zwei Seelen, eine geistige und eine tierische. Vinzenz von Lerin läßt ihn weiter lehren, der Logos habe seinen Leib nicht von Maria angenommen, sondern vom Himmel mitgebracht; so haben auch andere, wie der hl. Gregor von Nyssa, den Apollinaria verstanden; in Wahrheit aber lehrte dieser nur, der Logos sei von Ewigkeit auf die Menschwerdung angelegt gewesen, und daher gehöre auch das Menschliche zu seiner göttlichen Natur, sei himmlisch und der Gottheit gleichwesentlich. ↩
Diese Bemerkung des Vinzenz zeigt, daß schon damals auch im Abendlande manche nicht zugeben wollten, daß Nestorius die physische Einheit der Person Christi leugne, und daß sie sich dafür auf seine Schriften beriefen. Sie hatten nicht ganz unrecht, wie aber erst in letzter Zeit festgestellt wurde, nachdem „das Buch des Heraklides von Damaskus", das Nestorius selbst unter diesem Pseudonym verfaßt hat, in syrischer Übersetzung bekannt geworden ist [in französischer Übersetzung ediert von Nau: Nestorius, Le livre d'Heraclide de Damas, Paris 1910]; so Fendt, Die Christologie des Nestorius, Kempten 1910 und besonders Junglas, Die Irrlehre des Nestorius, Trier 1912. Daß Nestorius tatsächlich zwei Personen in Christus gelehrt habe, sucht Christ. Pesch, Zur neueren Literatur über Nestorius, Freiburg 1914, nachzuweisen. ↩
Rom. 7, 13: „Die Sünde hat durch das Gute [das Gesetz] mir den Tod gewirkt ↩
Das lehrte Nestorius wirklich, er vertrat eine Bewährungslehre nach welcher der Mensch in Christus sich die Würde der Gottessohnschaft verdienen musste und sie erst bei der Auferstehung erhielt. ↩
