28. Benutzung der Väterzeugnisse für die Bekämpfung der Häresien.
[39] Hier halte ich es für angebracht, an Beispielen zu zeigen, wie die ruchlosen Neuerungen der Häretiker durch Anführung und Vergleichung der unter sich übereinstimmenden Aussprüche der alten Lehrer aufgedeckt und verurteilt werden sollen. Jedoch müssen wir diese Übereinstimmung der alten heiligen Väter nicht bei jeder unbedeutenden Frage über das göttliche Gesetz, sondern nur oder doch hauptsächlich in der Glaubensregel S. 217angelegentlichst aufsuchen und berücksichtigen. Aber weder zu jeder Zeit noch alle Häresien kann man auf diese Weise bekämpfen, sondern nur die neuen und eben erst entstandenen, ehe sie nämlich Zeit gewinnen, die Regeln des alten Glaubens zu fälschen und ehe sie bei weiterer Verbreitung des Giftes die Schriften der Vorfahren zu fälschen versuchen. Dagegen verbreitete und eingewurzelte Häresien soll man keineswegs auf diesem Wege angreifen, weil ihnen in der Länge der Zeit Gelegenheit genug zu Gebote stand, sich die Wahrheit zu erschleichen. Und daher sollen wir alle jene altern Ruchlosigkeiten von Spaltungen und Irrlehren entweder, wenn es nötig ist, nur durch die Autorität der Schriften bekämpfen oder wenigstens meiden, wenn sie schon in alter Zeit durch allgemeine Konzilien katholischer Priester überführt und verurteilt worden sind. Wenn daher der Eiter irgendeines schlimmen Irrtums aufzubrechen und zu seiner Verteidigung Worte des heiligen Gesetzes sich anzueignen und falsch oder trügerisch auszulegen beginnt, dann müssen sofort zur Erklärung der Schrift die Aussprüche der Vorfahren gesammelt werden, durch die das, was als neu und darum gottlos hervortritt, ohne alle Umschweife aufgedeckt und ohne alle Umstände verworfen wird. Aber nur die Aussprüche der Väter sind zusammenzustellen, die im Glauben und in der katholischen Gemeinschaft heilig, weise und standhaft lebend, lehrend und bleibend es verdient haben, entweder in Christus treu zu sterben oder für Christus selig ihr Blut zu vergießen. Doch auch ihnen ist nur in der Weise zu glauben, daß alles, was sie in ihrer Gesamtheit oder doch der Mehrzahl nach in ein und demselben Sinne klar, oft und beharrlich wie eine einmütige Versammlung von Lehrern angenommen, festgehalten, überliefert und bekräftigt haben, für unzweifelhaft sicher und gültig gehalten werde, daß dagegen solches, was jemand, mag er auch heilig und gelehrt, mag er auch Bischof, Bekenner oder Märtyrer sein, gesondert von allen anderen oder auch im Gegensatze zu ihnen aufgestellt hat, zu den eigenen, geheimen und privaten Meinungen gerechnet und von dem Ansehen eines gemeinsamen, öffentlichen und allgemein S. 218anerkannten Ausspruches ausgeschlossen werde, damit wir nicht mit höchster Gefahr des ewigen Heiles nach der gottlosen Art der Häretiker und Schismatiker unter Preisgabe der alten Wahrheit der allgemeinen Lehre dem neuen Irrtum eines Menschen uns hingeben.
[40] Damit aber niemand glaube, die heilige und katholische Übereinstimmung dieser seligen Väter leichthin mißachten zu dürfen, sagt der Apostel im ersten Briefe an die Korinther: Und einige setzte Gott in der Kirche zunächst als Apostel — von denen er selbst einer war —, sodann als Propheten — in der Apostelgeschichte wird als solcher Agabus erwähnt1 —, drittens als Lehrer2 . Diese heißen jetzt Traktatoren; derselbe Apostel bezeichnet sie bisweilen als Propheten, weil durch sie die geheimnisvollen Aussprüche der Propheten den Völkern aufgehellt werden. Wer also diese Männer, die in der Kirche Gottes nach göttlicher Fügung in den verschiedenen Zeiten und Gegenden auftreten, wenn sie in betreff der katholischen Glaubenslehre hinsichtlich eines Punktes in Christo übereinstimmen, verachtet, der verachtet nicht einen Menschen, sondern Gott. Und damit keiner von ihrer die Wahrheit verbürgenden Einheit abweiche, mahnt derselbe Apostel nachdrücklich, indem er sagt: Ich ermahne euch aber, Brüder, daß ihr alle ein und dasselbe sagt und keine Spaltungen unter euch seien, daß ihr vielmehr vollkommen seiet in demselben Sinne und in derselben Meinung3 . Sollte nun jemand von ihrer gemeinsamen Meinung abfallen, so höre er jenes Wort desselben Apostels: Er ist nicht ein Gott des Zwiespaltes, sondern des Friedens — das heißt: nicht ein Gott dessen, der von der Einheit der Übereinstimmung sich lossagt, sondern deren, die im Frieden der Übereinstimmung verbleiben —, wie ich in allen Gemeinden der Heiligen lehre4 , das heißt, der Katholiken, die deshalb S. 219heilig sind, weil sie in der Gemeinschaft des Glaubens verharren.
Und damit niemand anmaßlich verlange, daß man mit Ausschluß der übrigen ihn allein höre, ihm allein glaube, sagt er kurz darnach: Ist etwa von euch das Wort Gottes ausgegangen oder ist es zu euch allein gekommen? Und damit das nicht als nur so obenhin gesprochen aufgenommen werde, fügte er hinzu: Wenn einer ein Prophet oder ein Geistbegabter zu sein sich dünkt, so erkenne ert daß das, was ich euch schreibe, des Herrn Gebote sind5 . Was für andere Gebote sind das, als daß der, welcher ein Prophet oder ein Geistbegabter, d. h. ein Lehrer geistlicher Dinge ist, mit höchstem Eifer die Gleichheit und Einheit pflege, daß er weder seine Meinungen denen der übrigen vorziehe noch vom Sinne aller abweiche? Wer in dieser Hinsicht die Gebote nicht kennt, der wird verkannt werden6 , das heißt: Wer entweder, wenn er sie nicht kennt, sie nicht kennen lernt, oder, wenn er sie kennt, sie mißachtet, der wird verkannt werden, das heißt, er wird für unwürdig gehalten werden, zu den im Glauben Geeinigten und durch Demut Gleichgewordenen von Gott gezählt zu werden, das Schlimmste, was man sich denken kann. Und doch ist dies, wie wir sehen, nach der Drohung des Apostels jenem Pelagianer Julian zugestoßen, der entweder der Auffassung seiner Amtsgenossen nicht beitreten wollte oder vermessen aus ihrer Gemeinschaft austrat7 .
Aber nunmehr ist es an der Zeit, das versprochene Beispiel anzuführen, wo und wie die Aussprüche der S. 220heiligen Väter zusammengestellt worden seien, damit aus ihnen nach dem Beschlüsse und der Autorität eines Konzils die kirchliche Glaubensregel festgestellt werde. Damit das um so bequemer geschehe, sei hiermit dieses Commonitorium geschlossen; das folgende wollen wir in einem anderen Buche behandeln.
Apg. 11, 28. ↩
1 Kor. 12, 28. ↩
Ebd. 1, 10. ↩
Ebd. 14, 38. ↩
1 Kor. 14, 36f ↩
Ebd. 14, 38. ↩
Gemeint ist Bischof Julian von Eklanum in Apulien, ein streitlustiger Mann, der später der Hauptwortführer der Pelagianer war; der hl. Augustinus hat ihn in mehreren Schriften bekämpft. Julian wurde im Jahre 418 vom Kaiser aus Italien verbannt und begab sich in den Orient, wo er eifrig bemüht war, beim Kaiser und Papste die Erlaubnis zur Rückkehr zu erwirken; die obige Bemerkung des Vinzenz zeigt, daß ihm das bis zum Jahre 434 nooh nicht gelungen war. ↩
