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Warum denn als Christ eine solch ängstliche Zurückhaltung? Schau auf den, der Vater und Netz verläßt, 1 auf den Zöllner, der vom Zollhaus aufsteht und sofort ein Apostel wird. 2 Der Menschensohn hat nichts, wohin er sein Haupt legen könnte, 3 Du aber schreitest S. 284 durch die weiten Säulenhallen und die großen Räume Deines Hauses. 4 Du, der Miterbe Christi, 5 entscheidest Dich für das Erbe der Welt? Werde Dir doch über die Bedeutung des Wortes Mönch klar; 6 denn Du bist es doch nun einmal. Was hast Du, der Einsame, in der Menge zu suchen? Ich sage dies alles nicht als einer, dessen Schiff und Waren nie zu Schaden gekommen sind, nicht als einer, der das Schiffshandwerk nur aus der Theorie kennt, ohne sich je den Wellen anvertraut zu haben. Vielmehr rede ich wie jemand, der vor kurzem beim Schiffbruch ans Ufer geworfen wurde und kleinlaut mit Leuten sich unterhält, die eine Seereise antreten wollen. In dieser Brandung verschlingt die Charybdis der Sinnlichkeit das Heil der Seele. Da lockt verführerisch mit jungfräulichem Munde die Scylla der Begierde zum Schiffbruch der Keuschheit. Hier liegt ein wildfremdes Gestade, dort lauert der Seeräuber Teufel, der mit seinen Genossen die Fesseln bereit hält für die, welche er als seine Gefangenen ausersehen hat. Vertrauet nicht blindlings, laßt Euch nicht in falsche Sicherheit wiegen! Mag Dich das vor Deinen Augen sich ausbreitende Meer anlächeln wie ein stiller Teich, mag ein sanfter Lufthauch die Oberfläche des vor Deinen Blicken sich hinstreckenden Elementes kaum zart kräuseln, die weite Fläche hat ihre gewaltigen Berge. Im Inneren ruht die Gefahr, im Innern hält sich der Feind verborgen. 7 Befestiget die Schiffstaue, hisset die Segel! Am Mastbaum flattere der Wimpel des Kreuzes; denn diese Ruhe ist die Stille vor dem Sturme. — Doch ich vernehme Deinen Einwurf: „Was soll denn dies wieder heißen? Sind denn die Leute, die in den Städten wohnen, am Ende keine Christen?“ Gemach, Du darfst Dich mit ihnen nicht vergleichen. Achte auf den Herrn, der spricht: „Willst Du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe alles, was S. 285 Du hast und folge mir nach.“ 8 Du hast gelobt, vollkommen zu sein. Du hast den Soldatenrock ausgezogen und Dich zu einem Leben in Keuschheit um des Himmelreiches willen entschlossen? 9 Hast Du damit etwa eine andere Absicht verfolgt als die, ein vollkommenes Leben zu fuhren? Aber der vollkommene Diener Christi nennt außer Christus nichts sein eigen. Besitzt er aber außer Christus noch etwas anderes, dann ist er eben nicht vollkommen. Ist er aber nicht vollkommen, obwohl er Gott gelobt hat, vollkommen zu werden, dann hat er vordem gelogen. Der Mund aber, der lügt, tötet die Seele. 10 Ich schließe also folgendermaßen: „Wenn Du vollkommen bist, warum gelüstet es Dich nach dem väterlichen Besitze? Bist Du aber nicht vollkommen, dann hast Du Gott getäuscht.“ Der Herr warnt deutlich und ernst im Evangelium: „Niemand kann zwei Herren dienen.“ 11 Willst Du etwa Christus zum Lügner stempeln und versuchen, dem Mammon und dem Herrn zugleich zu dienen? Wie oft spricht der Herr nicht: „Will jemand mein Jünger sein, so verleugne er sich selbst; er nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ 12 Und ich soll mit Gold beladen Christus dienen können? Wer behauptet, in Christus zu leben, muß so wandeln, wie er gewandelt ist. 13
