2.
Doch was beginne ich? Soll ich aufs Geratewohl von neuem zu bitten anfangen? Nein, keine Bitten, keine Schmeicheleien! Die verletzte Liebe hat ein Recht zu zürnen. Auf meine Bitten hast Du nicht gehört, vielleicht machen meine Vorwürfe einen tieferen Eindruck. Was machst Du denn im Vaterhause, Du verweichlichter Soldat? Wo ist der Wall, der Graben, der unter Zelten verbrachte Winter? Die Kriegstrompete erschallt vom Himmel her. Auf den Wolken schreitet der Feldherr gewappnet heran, der hinauszieht, 1 um der Welt den Krieg zu erklären. Das zweischneidige Schwert, das aus dem Munde des Königs hervorgeht, 2 mäht alles, was ihm in den Weg tritt, nieder. Und Du willst aus dem Schlafgemach in die Schlacht ziehen? 3 Du willst aus dem Schatten hin zur Sonne gehen? Der Körper, der sich an die Tunika gewöhnt hat, erträgt des Panzers Last nicht. Das mit Linnen bedeckte Haupt mag nichts vom Helm wissen. Der harte Schwertknauf verursacht auf der vor lauter Nichtstun weich gewordenen Hand Schwielen. Vernimm den Heeresbefehl Deines Königs: „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“ 4 Denke an den Tag Deines Eintritts in den Kriegsdienst, an dem Du in der Taufe mit Christus begraben 5 einen heiligen Eid geschworen hast. Um des Namens Christi willen wolltest S. 280 Du weder Mutter noch Vater schonen. Siehe, der Feind, der in Deinem Innern wohnt, strengt sich an, um Christus zu töten. Die gegnerische Streitmacht hat es auf das Handgeld 6 abgesehen, das Du beim Eintritt in den Kriegsdienst entgegennahmst. Mag sich der kleine Neffe an Deinen Hals hängen, mag Deine Mutter mit aufgelöstem Haar und zerrissenem Gewand Dir die Brust zeigen, an der sie Dich genährt hat, mag sich der Vater auf die Schwelle legen, schreite kühn über ihn hinweg und eile trockenen Auges der Fahne des Kreuzes entgegen! In solcher Lage grausam sein, das ist wahre Kindesliebe. 7
Ebd. 24, 30 f. ↩
Offenb. 1, 16. ↩
Vgl. zu der Stelle: Tertullian, Ad mart. 3 (BKV VII 218). ↩
Matth. 12, 30; Luk. 11, 23. ↩
Kol. 2, 12. Heliodor hat die Taufe erst in reiferen Jahren empfangen. ↩
Donativum ist eigentlich die Spende, welche die Kaiser aus besonderen Anlässen (Thronbesteigung) unter das Heer verteilen ließen, um sich dessen Gunst zu sichern. ↩
Gr. I 147 bezeichnet diese Stelle als „jeden tieferen Pietätsgefühles bar“. Auch Zöckler (Hieronymus, Gotha 1865, 63) bezeichnet den Brief als den Ausdruck einer „im höchsten Grade krankhaften und unnatürlichen Lebensanschauung“. Wenn die erhobenen Vorwürfe zu einem Teil in der schwülstigen Sprache des Briefes ihre Unterlage haben, so fußen sie doch im tiefsten Grunde auf dem Gegensatz der katholischen und protestantischen Beurteilung der guten Werke. ↩
