13.
Gelehrte Herren! Wir haben in den Schulen zusammen studiert und gemeinsam aus Aristoteles und S. b168 Gorgias 1 geschöpft, die verschiedene Arten der Beweisführung kennen. Sie erwähnen eine Art zu schreiben, die sich frei und ungebunden betätigt, und eine zweite, die sich nach strengen Regeln richtet. Im ersteren Falle ist die Auseinandersetzung mehr locker gehalten. In der Erwiderung macht sie dem Gegner bald diesen, bald jenen Einwand. Die Beweisführung ist willkürlich; man redet ganz anders, als man handelt; man zeigt, wie das Sprichwort sagt, ein Stück Brot und hält einen Stein verborgen. 2 Die zweite Art hingegen erfordert sozusagen aufrechte Haltung und ein offenes Visier. Es ist zweierlei, ob ich eine Frage stelle oder ob ich eine Definition gebe. Im ersten Falle beziehe ich Kampfstellung, im anderen aber muß ich belehren. Während ich nun ins Gefecht komme und Gefahr laufe, getötet zu werden, willst Du mich wie ein übereifriger Schulmeister mahnen: „Greife nicht mit verblümten Worten und in falscher Schlachtfront Deinen Gegner an! Stoße geraden Weges zu! Schändlich ist es, den Feind mit List, statt unter Einsetzung seiner persönlichen Kraft zu besiegen.“ Liegt denn die vollkommene Kampftechnik nicht gerade darin, irgendwo zum Scheinangriff zu schreiten und anderswo den Kampf vorzutragen? Lies doch, ich bitte Dich, den Demosthenes und den Tullius; oder wenn Dir die Rhetoren nicht passen, weil sie öfters mit Trugschlüssen statt mit der Wahrheit arbeiten, dann lies Plato, Theophrast, 3 Xenophon, Aristoteles und die übrigen, die aus der Schule des Sokrates hervorgegangen sind, viele Ströme, einem Quell entsprungen! Reden sie in klaren und schlichten Worten? Sind ihre Worte nicht voll tiefen Sinnes? Bedarf es nicht sieghafter Anstrengung, um diesen Sinn herauszufinden? Origenes, Methodius, S. b169 Eusebius und Apollinaris haben in vielen Tausenden von Zeilen gegen Celsus und Porphyrius geschrieben. 4 Untersuche doch einmal ihren Beweisgang! Mit welchen gewagten Argumenten zerreißen sie nicht die Hirngespinste diabolischen Geistes! Weil sie sich zuweilen gezwungen sehen, zu sagen, nicht was sie denken, sondern was gerade nötig ist, so möchte man sie mitunter für Heiden halten. Ich will gar nicht erst auf die Lateiner, wie Tertullian, Cyprian, Minucius, Viktorinus, Laktanz und Hilarius, hinweisen; denn es könnte so gedeutet werden, als wollte ich weniger mich verteidigen, als sie beschuldigen. Aber den Apostel Paulus will ich Euch vorführen. So oft ich ihn lese, glaube ich nicht Worte, sondern Donnerschläge zu vernehmen. Leset seine Briefe, vor allem die an die Römer, Galater und Epheser, in denen er ganz als Kämpfer erscheint! Da könnt Ihr sehen, wie kunstfertig und wie klug er sich, ohne seine Absicht zu verraten, bei seinen Argumenten des Alten Testamentes bedient. Seine Worte scheinen einfach wie die eines harmlosen Mannes ohne Bildung. Man kommt gar nicht auf den Gedanken, daß er eine Falle stellen oder einer solchen aus dem Wege gehen kann. Aber wohin Du schaust, überall zünden Blitze auf. Ohne vom Thema abzuschweifen, zieht er alles heran, was ihm unter die Hand kommt. Er tritt den Rückzug an, um zu siegen. Scheinbar ergreift er die Flucht, um zu vernichten. Los! Fallen wir wie Verleumder über ihn her und werfen wir ihm vor: „Die Zeugnisse, die du gegen Juden und andere Irrlehrer beibringst, haben bei dir einen ganz anderen Sinn als an den Stellen, S. b170 denen sie entnommen sind. Du bedienst dich bei deinem Siege solcher Stellen, denen du Gewalt angetan hast, die an ihrem Ursprungsorte keine Beziehung zum strittigen Thema haben.“ Wird er uns nicht mit dem Herrn antworten: „Zu euch spreche ich anders als in der Öffentlichkeit“? 5 Zu den Scharen redet er in Gleichnissen, die Jünger vernehmen die Wahrheit. Den Pharisäern legt der Herr Fragen vor, ohne auf eine weitere Erörterung einzugehen. Einen Gegner besiegen und einen Jünger belehren, sind eben zwei ganz verschiedene Dinge. Deshalb spricht auch der Prophet: „Mein Geheimnis ist für mich, mein Geheimnis ist für mich und die Meinigen.“ 6
Der Rhetor Gorgias aus Leontinoi († etwa 375 n. Chr.) vertrat eine Methode der Kunstgriffe und Trugschlüsse, so daß man mit einiger dialektischer Gewandtheit dieselbe Sache willkürlich bejahen oder verneinen konnte. ↩
Plautus, Aulularia 195. ↩
Vgl. BKV II. Reihe XVI 127 Anm. 2. ↩
Origenes schrieb 8 BB gegen Celsus (BKV LII f.). Methodius von Olympus (2/3. Jahrhundert) bekämpfte in einer besonderen Schrift, die verloren ging, die 15 BB des Neuplatonikers Porphyrius „Wider die Christen“ (B. II 339, 348 f.). Eusebius von Caesarea wandte sich in seiner εὐαγγελικὴ προπαρασκευὴ (MPG XXI passim) eingehend gegen Porphyrius, während Apollinaris von Laodicea ein leider untergegangenes Werk von 30 BB gegen ihn geschrieben hat. ↩
Matth. 13, 10 ff. ↩
Is. 24, 16. ↩
