15.
Aus den bisherigen Darlegungen geht also mit aller Deutlichkeit hervor, daß ich nichts Neues über Jungfrauen und Verheiratete gesagt habe. Vielmehr habe ich mich in allem der Auffassung der früheren Autoren, sowohl des Ambrosius als auch der anderen, die sich mit der Lehre der Kirche beschäftigt haben, angeschlossen. Lieber will ich ihrer Nachlässigkeit als der dunklen Geschäftigkeit der Gegner nacheifern. 1 Ich sehe schon die Ehemänner, wie sie voller Wut anrücken und mich fragen, mit welchem Recht ich schreibe: "Ich bitte dich, wie kann man als etwas Gutes bezeichnen, was uns am Gebete hindert, was uns verbietet, den Leib Christi zu empfangen? Erfülle ich die Pflicht des Mannes, dann kann ich nicht enthaltsam sein. Der bereits genannte Apostel befiehlt uns, ohne Unterlaß zu beten. 2 Wenn wir aber immer beten müssen, dann darf man niemals von den ehelichen Rechten Gebrauch machen. Denn so oft ich der Gattin die Pflicht leiste, kann ich nicht beten.“ 3 Warum ich dies ausgeführt habe, ist doch klar; denn ich legte den Ausspruch des Apostels aus: „Entziehet euch einander nicht, es sei denn nach Übereinkunft auf Zeit, um dem Gebete obzuliegen.“ 4 Der Apostel Paulus sagt also, man kann nicht beten während des S. b176 ehelichen Verkehrs. Petrus ermahnt zur Enthaltsamkeit, damit unser Gebet nicht behindert sei. 5 Wo bleibt denn da mein Vergehen? Was habe ich verbrochen? Worin habe ich gefehlt? Wenn das Wasser trüb und dunkel dahinfließt, dann ist nicht der Strom, sondern die Quelle dafür verantwortlich. Oder beschuldigt man mich deshalb, weil ich von mir aus ergänzend bemerkte: „Wie kann man etwas ein Gut nennen, wenn es uns den Genuß des Leibes Christi nicht gestattet?“ Darauf will ich kurz antworten: „Was ist mehr, das Gebet oder der Empfang des Leibes Christi? Selbstverständlich der Empfang des Leibes Christi. Wird nun durch den ehelichen Verkehr das Mindere unmöglich gemacht, dann erst recht das Höhere.“ In der gleichen Schrift habe ich geschrieben: 6 „David und seine Begleiter durften nach dem Gesetze die Schaubrote nicht genießen, wenn sie sich in den letzten drei Tagen vom Verkehr mit Frauen nicht ferngehalten hatten. 7 Dabei handelt es sich nicht etwa um Buhlerinnen, mit denen zu verkehren das Gesetz an sich schon verbot, sondern um die Ehefrauen, mit denen sie rechtmäßig verbunden waren. Auch dem Volke wurde zur Pflicht gemacht, drei Tage enthaltsam zu sein, als es das Gesetz auf dem Berge Sinai entgegennehmen sollte.“ 8 Ich weiß, daß in Rom bei den Gläubigen die Sitte besteht, täglich den Leib Christi zu empfangen, was ich weder tadle noch billige. Ein jeder ist von seiner Überzeugung erfüllt. 9 Aber ich wende mich an das Gewissen derjenigen, die am Morgen nach dem ehelichen Verkehr zur Kommunion gehen, um nach einem Worte des Persius die nächtlichen Sünden im Flusse zu reinigen, 10 und frage sie: Warum wagt ihr nicht, die Gräber der Märtyrer zu besuchen? Warum betretet ihr S. b177 das Gotteshaus nicht? Ist der Christus im öffentlichen Heiligtum ein anderer als der Christus zu Hause? 11 Was in der Kirche nicht erlaubt ist, ist auch zu Hause nicht gestattet. Vor dem Herrn bleibt nichts verborgen, und für Gott leuchtet auch die Finsternis wie ein Licht. Es prüfe ein jeder sich selbst, ehe er den Leib des Herrn empfängt. 12 Damit will ich nicht sagen, daß der Christ heiliger wird, wenn er die Kommunion um einen oder zwei Tage verschiebt, daß er morgen oder übermorgen dessen würdig wird, was ihm heute nicht zusteht. Aber der Schmerz darüber, daß man keinen Anteil hatte am Leibe Christi, wird für einige Zeit zur Enthaltsamkeit in der Ehe anregen. Man wird der Liebe zu Christus den Vorrang einräumen vor der Liebe zur Gattin. Ich vernehme den Einwand: „Das ist zu hart und unerträglich. Wer unter den Weltleuten ist dessen fähig?“ Wer es aushalten kann, der halte es aus; 13 wer es nicht fertig bringt, der suche eine andere Lösung. Meine Aufgabe ist es nicht, mich um das zu kümmern, was einer fertig bringt oder wünscht, sondern die Anweisungen der Hl. Schrift klarzustellen.
Terentius, Andria 20 f. ↩
1 Thess. 5, 17. ↩
Adv. Jov. I 7. ↩
1 Kor. 7, 5. ↩
1 Petr. 3, 7. ↩
Hier liegt ein Gedächtnisfehler vor, da das Zitat nicht der Schrift gegen Jovinian entnommen ist. ↩
1 Kön. 21, 5. ↩
Exod. 19, 15. ↩
Röm. 14, 5. ↩
Persius, Sat. II 16. ↩
Die Stelle zeigt, daß die Sitte, den Gläubigen die Eucharistie mit nach Hause zu geben, noch längere Zeit nach Beendigung der Christenverfolgungen üblich war. Von der Scheu, unter gewissen Voraussetzungen die Basiliken der Märtyrer zu besuchen, spricht Hieronymus auch anderwärts (vgl. Adv. Vigil. 12; BKV XV 318). ↩
1 Kor. 11, 28. ↩
Matth. 19, 12. ↩
