1.
Wenn ich Dir bisher nicht geschrieben habe, so war Dein Schweigen die Ursache. Ich fürchtete, Dir mehr lästig als dienstbeflissen zu scheinen, wenn ich meinerseits dieses Schweigen unterbrochen hätte. Jetzt aber auf Deinen lieben Brief hin, einen Brief, der mich zur Begründung einer unserer Glaubenslehren auffordert, nehme ich die Anregung des einstigen Mitschülers, Gefährten und Freundes, wie man so sagt, mit offenen Armen auf. Ich rechne damit, in Dir einen Verteidiger meiner kleinen Abhandlung zu gewinnen, muß Dich aber vorher als meinen Richter günstig stimmen oder richtiger, ich muß meinen Anwalt vorher über alles unterrichten, was gegen mich vorgebracht wird. Auch Dein Landsmann Tullius sagt, und vor ihm schrieb es schon Antonius 1 in seinem kurzen und einzigen Buche: „Ein Prozeß ist halb gewonnen, wenn man sich in den Gegenstand des Prozesses, in dem man als Verteidiger auftreten soll, gut eingelebt hat.“
M. Antonius orator (143—87 v. Chr.) hat eine verlorengegangene Schrift „De ratione dicendi“ verfaßt (vgl. Cicero, Orator 5, 18; Quintilian, Instit. orat III 1, 19). ↩
