114.
1. Wie wir uns also bei der Herstellung der Kleider von aller Unziemlichkeit freihalten müssen, so müssen wir uns auch beim Tragen vor jedem Überschreiten des richtigen Maßes hüten. Denn es ist auch nicht gehörig, wenn das Kleid wie bei den spartanischen Mädchen nur bis über das Knie reicht; denn es ist nicht schicklich, daß beim Weibe irgendein Körperteil unbedeckt bleibt.
2. Freilich ist es möglich, dem, der sagt: „der Arm ist schön“, ganz sittsam die treffende Antwort zu geben: „aber er ist nicht Gemeingut“ und dem, der sagt: „schöne Beine“ zu erwidern: „aber sie gehören nur meinem Gatten“ und auf die Rede: „ein hübsches Gesicht“, „aber nur für den, der mich S. a120 geheiratet hat.“1
3. Ich wünschte aber, daß die sittsamen Frauen nicht einmal den Anlaß zu solchen Lobsprüchen denen geben, die durch die Lobsprüche das Tadelnswerte zu erreichen suchen; und es ist nicht nur verboten, den Knöchel zu entblößen, sondern es ist auch befohlen, daß der Kopf verhüllt 2 und das Gesicht bedeckt sei; denn es ist nicht recht, daß die Schönheit des Körpers als Jagdnetz für das Fangen von Menschen diene.
4. Es ist aber auch nicht vernünftig, wenn ein Weib einen Purpurschleier trägt und damit die Blicke auf sich ziehen will. Denn ich wünschte, es möchte möglich sein, den Purpur auch von den Kleidern auszuschließen, damit er nicht den Blick der Beschauer auf das Gesicht der damit Bekleideten hinlenke.3 Aber diese Frauen, die sich im übrigen beim Weben ihres Gewandes mit recht wenig begnügen, machen das Ganze purpurn, um die Leichtfertigkeit zu reizen; und da sie vor Verlangen nach diesem albernen und weichlichen Purpur ganz außer sich sind, hat sie wirklich nach jenem Dichterwort „der Purpurtod dahingerafft“4
Theano Fr. 3 Mullach FPG II p. 115; vgl. Strom. IV 121, 2; Plut. Moral, 142 C (= Stob. Flor. 74, 49a); Arsen. Viol. p. 293 Walz. ↩
Vgl. 1 Kor. 11, 10. ↩
Vgl. Muson. rell. p. 106, 5—8. ↩
Hom. Il. 5, 83; 16, 334; 20, 477; Vgl. Diogenes bei Diog. Laert. VI, 57; Theokritos von Chios bei Plut. Moral, p. 11 B; Athen. XII p. 540 A. ↩
