16.
Nach der Melodie 1: Wer wollte es wagen?
1. S. 61 Sehet die Bilder im Spiegel, ohne daß er durch die Bilder zerbrochen wird noch zerbrochen werden kann.
2. Sehet die [göttliche] Wesenheit 2, der von den Geschöpfen weder Zwang angetan wird noch angetan werden kann.
3. Mögen wir auch Bilder aus den geschaffenen Dingen anführen, nie vermögen wir, sie [die Gottheit] vor unsern Augen abzubilden.
4. Sie trägt alles, ohne müde zu werden; mag sie auch noch so voll sein, sie ist doch wie leer; o, welch großes Wunder!
5. Sie ist ganz erfüllt mit Wesenheit, und es ist in ihr Raum [für alles]; wer vermag alles, was in ihr ist, zu erschöpfen?
6. Wie gleicht ihr der Geist [der Verstand], in dem, obgleich er nicht leer ist, doch Raum für alle Weisheit ist!
7. Es möge der Mund seine Unzulänglichkeit bekennen, ohne sich seiner Ohnmacht zu schämen, die von ihr [der Gottheit] übertroffen ist!
8. 3 Überhaupt wird ja alles durch den Einen umfaßt, und ihm gebührt schließlich unaussprechliches Schweigen.
9. S. 62 Zusammen mit dem einen Wesen ist kein anderes, denn wie könnte ein Wesen in seinesgleichen wohnen, ohne daß es sein Erzeugnis ist?
10. Eine große Verwirrung wäre es, wenn mehrere Wesen ineinander wohnten; das wäre Verwirrung und Lästerung.
11. Und wenn es einen Raum gibt, in dem sie wohnen, so ist der Raum größer als die Wesenheit, weil er diese umfaßt.
12. Klar ist dies: wenn ein Wesen in einem Wesen wohnt, so ist es entweder sein Sohn oder sein Gebilde.
13. Wenn aber jedes Wesen von jeher in seinem Räume wohnt, so entsteht eine große Untersuchung und Frage:
14. Hat der Zwang sie begrenzt [in einem Räume eingeschlossen] oder ist von Natur aus jene Anordnung, damit sie nicht in Unordnung geraten?
15. Schwach war [freilich] jene Macht, die sie [so] geordnet; denn siehe, sie sind durcheinander geraten; wenn es von Natur so wäre, wer hätte ihr widerstehen können?
16. Wenn es aber vom Zwange ausgeht, daß sie [ineinander] wohnen, so hat dieser nachgelassen, und wenn es von Natur ist, so hat sie sich geändert.
17. Gefühllose Wesen können nämlich nicht vermengt werden, wenn nicht ein anderer ist, der sie verwirrt.
18. Wenn es aber die Natur war, die sie von jeher verwirrte, so wäre der Anfang [Anstoß zu] ihrer Verwirrung nicht erst neuerdings erfolgt.
19. Hat etwa der Wille jenes Höchsten sich heimlich eingeschlichen und sie durch die Finsternis verwirrt?
20. Wenn aber die Finsternis eine ruhige Natur ist, wer hat sie denn in Aufruhr versetzt? Und wenn sie aufrührerisch ist, wer hat sie [bis dahin] in Schranken gehalten?
21. Jene Macht nämlich, die sie von jeher in Schranken hielt, ist viel bekannter als jene, die sie später freiließ.
22. S. 63 Wenn aber die Wesen [Itjê] Freiheit hatten, wodurch sie verwirrt werden konnten, so gibt es keine Freiheit ohne Denkvermögen.
23. Wenn die Wesen Freiheit und auch Verstand besaßen, so brauchten sie keinen Schöpfer. —
24. Zuschanden gemacht sind also jene Lehren, die dies zusammendichteten, weil sie den Trug gern hatten und die Lüge liebten und die Wahrheit haßten.
25. Die Wahrheit ist gewöhnt [liebt es], durch Schwache zum Siege zu gelangen: Preis sei der Wahrheit, die durch mich triumphierte!
26. Preis sei dem Vater, der alles vermag! Lob dem Sohne, der in seinem Schoße wohnt und alles hält!
Jede Strophe besteht aus 5 Versen zu je 4 Silben; vgl. Lamy IV, S. 490; Grimme, S. 18. Dieses Lied hat keinen Kehrvers; vielleicht gilt die Schlußstrophe, eine Doxologie an Vater und Sohn, als solche. ↩
Der Hymnus ist gegen die „Wesen“ Itjê der Lehre des Bardaisan gerichtet, ohne daß dessen Name genannt wäre. Diesen „Wesen“ steht die „Wesenheit“ ltûtâ des wahren Gottes gegenüber. ↩
Die 8. Strophe fehlt in der römischen Ausgabe infolge des schlechten Zustandes der vatikanischen Hs; Strophe 9 ist dort teilweise frei ergänzt. Dasselbe gilt von Strophe 18 und 21. ↩
