20.1
Nach derselben Melodie.
1. S. 73 „Es sah aber Gott alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war gut 2.“ Er lobte die Naturen, daß ihre Schönheit herrlich und glänzend sei; nur betreffs Adams steht geschrieben, daß es ihn [Gott] reute 3; obwohl er schöner war als die Kriechtiere und die wilden Tiere, die keinen Verstand haben 4, fiel Adam doch in Sünde und unterlag. – Es reute ihn [Gott] nicht am Löwen seine Wildheit, denn sie gehört zu seiner Natur; es reute ihn auch nicht, dass er die Schlange, die ihn zur Sünde verführte, gemacht hatte, denn er wußte, daß sie nur ein Instrument 5 war.
2. Alles, was sich Gott nennt und mit diesem Namen bezeichnet wird, bereitet sich zum Angriff gegen Adam vor 6. – Siehe, auch der Fremde rief laut, daß er aus Liebe zu ihm die Lämmer und Tauben verlassen habe, denn der Gepriesene empfand keine Reue ihretwegen. Den Adam wählte er aus, damit man erkenne, daß er ein vollkommenes Gefäß für seinen Dienst sei, denn der Fremde lehrt uns durch unsere Sinne, er belebt uns durch unsere Schätze, unser Lebensunterhalt kommt von dem Unsrigen.
3. Preis sei dem Schöpfer, daß er aus Weisheit es sich reuen ließ! Er tadelte sein Werk aus Klugheit, damit jene beschämt würden, die Götter predigen, die erhabener sein sollen als er. Sie hörten das Wort „Reue“ und spotteten 7 und merkten nicht, daß sie S. 74 ihn lästerten. Der Fremde möge nun seine Vollkommenheit zeigen! Sehen wir zu, ob er uns veränderte Glieder gegeben hat. Sinne und Glieder hat er geheilt, aber nicht verändert, damit ihr Schöpfer geehrt werde.
4. Und gleichwie er den Körper geheilt und seiner Natur [ursprünglichen Verfassung] zurückgegeben, seine ursprüngliche Schönheit zurückgefordert und wiedererstattet und ihn [aufs neue] geschmückt hat, so hat er auch der Seele die Gesundheit wiedergegeben, die sie verloren hatte. Siehe, es bezeugen dies die Leiber. Wenn er aber das Gebot änderte und ihr [der Seele] neues Leben gab wie ein Arzt, der die Arzneien ändert, so sind seine Arzneien der Schöpfung nicht fremd. Wie ein Arzt alle Mittel zur Heilung anwendet, so benützt Gott alle Gelegenheit, um Leben zu spenden.
5. Es wurden die Irrlehren getäuscht durch das Wort: "Es reute ihn“. Das Wort ist [an sich] gesund, für die Kranken aber bitter, und sie entstellten es, während es uns über den Adam belehrt, wie groß er war. Er wählte dieses [Wort], um uns zu überzeugen, daß er [der Mensch] nicht ein Gefäß sei, dessen Werkmeister schwach war, denn es gibt keinen anderen Werkmeister, der ihn änderte. Stumm sind die übrigen Geschöpfe. Adam aber ist von Natur aus mit Sprache begabt. Umgrenzt sind die Meere, festgegründet sind die Berge, der Mensch aber ist [ihr] Gebieter.
6. Verkehrt also fassen sie das Wort auf. Es ist auch heute noch gebräuchlich und geläufig, daß die Menschen murren, daß er [Gott] einen solchen hoch erhob, der unverständig war. Dafür soll [nach ihrer Ansicht] auch Saul ein Zeuge sein, den zum König gemacht zu haben, Gott bereute; er verlieh ihm die königliche Würde, jener aber wurde lasterhaft; verborgen war es bei Adam, offenkundig bei Saul. Um die Lästerer zu widerlegen, stellte er [Gott] unter der Königswürde die Freiheit, die Herrin über alles, dar.
7. S. 75 „Söhne zog er auf und erhöhte sie 8“, sie wurden aber verdorben und lasterhaft. Wen sollen nun die Zuhörer tadeln? Gott, der Ehren verliehen hat, oder jene, die ihn beschimpft haben? Die Toren tadelten ihn; er hinwieder bestrafte sie, damit sie wieder auf den rechten Weg kämen, aber sie tadelten ihn wiederum. Wie furchtbar! Denn die Lästerung ist groß. Betrachtet diesen Streit, der ohne Furcht und ohne Liebe geführt wird! Es gibt keine andere Möglichkeit mehr, daß die Menschen das Leben [wieder] erlangen [oder: daß er sich der Menschen erbarme].
8. Es möge ein Schiedsrichter erstehen für den Meinungsstreit, und es möge untersucht werden, in welcher Hinsicht ihre [der Menschen] Natur schwach und mangelhaft ist. Wenn ihre Natur mangelhaft ist, ist dann die Schlange vollkommen? Ihr Schöpfer aber ist ja einer. Wer nannte die Namen in seiner Weisheit? Und wer machte Henoch vollkommen, daß er nicht starb? Und wenn unsere Menschheit von Natur aus unvollkommen [geschaffen] ist, dann verschloß der Gute seine Tür und der Gerechte sein Paradies, nur die Tür des Bösen steht offen.
Von Zingerle in der 1. Auflage der BKV [2. Ephräm-Band] S. 250 – 54 übersetzt. ↩
Gen. 1, 31. ↩
Ebd. 6,7. ↩
Die vatikanische Hs hat: „Tiere ohne Unterschied“. ↩
Wörtlich: „Zither“ [auf der der Satan spielte]. ↩
Oder: „erhebt Anspruch auf Adam“. ↩
Die vatikanische Hs hat: „wurden bestürzt“. ↩
Ekkli. 1,2. ↩
